Hilfe für die Mittelschicht

Die Klausur in Genshagen bringt Familien mit gutem Einkommen Vorteile – denn diese Schicht soll mehr Kinder kriegen

VON COSIMA SCHMITT

Es war der Tag der familienpolitischen Zeichen. Die Politik wollte Signale senden: an Eltern, die sich allein gelassen fühlen in ihrem Hin und Her zwischen Büro und Kinderzimmer. Und an Paare, die sich zwar theoretisch Kinder wünschen – die Praxis aber immer wieder aufschieben.

Auf der Klausur in Genshagen nahe Berlin einigte sich das Kabinett auf eine Neuerung. Demnach sollen Eltern die Kosten für Tagesmutter und Co stärker steuerlich absetzen dürfen. Die Bedingung: Sie müssen beide berufstätig sein. Der Staat werde dafür jährlich 460 Millionen Euro ausgeben, sagte Finanzminister Peer Steinbrück (SPD). Seit Monaten stritt Steinbrück mit Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU), wie die Kosten für Kinderbetreuung angemessen berücksichtigt werden könnten.

Geplant ist nun ein nach Alter gestaffelt System. Bei Kindern von 0 bis 6 Jahren müssen Eltern die ersten 1.000 Euro der Betreuungskosten selbst tragen. Das sind in etwa die Ausgaben für die Kita. Mit Beträgen, die darüber hinausgehen, verringern sie ihr zu versteuerndes Einkommen um bis zu 4.000 Euro. Bei Kindern von 7 bis 14 Jahren greift die Regel: Es entfällt der Eigenanteil. Eltern können laut Familienministerium 4.000 Euro vom steuerpflichtigen Einkommen abziehen.

Das neue Konzept verfolgt gleich mehrere Ziele. Es soll Eltern den Wiedereinstieg in den Beruf erleichtern. Zudem soll es sie ermutigen, Tagesmütter oder Babysitter häufiger als bisher sozialversicherungspflichtig zu beschäftigen. Ob das Kalkül gelingt, ist ungewiss. Gerade bei einer Rundum-Fürsorge dürfte es auch künftig billiger sein, die Betreuerin schwarz zu bezahlen – auch wenn sie dann nicht in der Steuererklärung erscheinen darf. Überdies, so die Hoffnung, könnte das neue Konzept eine altbekannte Logik mindern: dass viele Mütter über die Babypause hinaus zu Hause bleiben, weil sie kaum mehr verdienen, als die Kinderbetreuung kostet. Dem politisch entgegenzusteuern macht Sinn in einer Arbeitswelt, die jahrelange Auszeiten gerade in anspruchsvollen Posten kaum mehr verzeiht.

So ist der neue Freibetrag Teil einer familienpolitischen Offensive, die stärker als bisher auf die gutverdienende Mittelschicht fokussiert. Gerade sie gilt als demografische Sorgengruppe, die sich zunehmend vom Lebensentwurf „Familie und Kind“ entfremdet. Hauptschülerinnen etwa sind heute deutlich häufiger berufstätig als vor zwanzig Jahren. Sie kriegen deshalb nicht weniger Kinder. Anders die Akademiker.

So greift das neue Absetz-Modell ineinander mit einem in Genshagen diskutierten Vorhaben: „Wir werden das Elterngeld einführen“, bekräftigte Merkel gestern. Überraschend ist das nicht. Das Projekt steht schon im Koalitionsvertrag. Es ist derart konsensfähig, dass die Familienministerin einen Gesetzesentwurf noch im Frühjahr ankündigte. Der Plan soll ab 2007 Realität werden. Er kopiert ein schwedisches Erfolgsmodell: Bleibt ein Elternteil nach der Geburt eines Kindes zu Hause, dann zahlt der Staat ein Jahr lang einen Lohnersatz. Vorgesehen sind 67 Prozent des letzten Nettos, maximal 1.800 Euro pro Monat. Bei Geringverdienern wird das Einkommen beider Partner zugrunde gelegt. Setzt sich von der Leyen durch, dann muss der Vater wenigstens zwei der Babymonate nehmen, sonst verfallen sie.

So viel Konsens verhüllt, dass zentrale Punkte des Elterngeldes noch gar nicht geklärt sind. So weiß niemand genau, wie viel es eigentlich kosten wird. Sicher ist nur: Ein Teil des Geldes kommt durch den Wegfall des Erziehungsgeldes herein. Wenn nun die Idee tatsächlich greift, wenn etwa scharenweise gutverdienende Väter das Angebot nutzen – dann könnte das Elterngeld deutlich teurer werden als die bisher veranschlagten zusätzlichen 1,5 Milliarden Euro.

Auch andere wichtige Probleme sind noch ungelöst. Das Elterngeld ist bislang auf Angestellte zuschnitten. Alle Übrigen werden wohl mit einem Sockelbetrag abgefunden. Doch das taugt nicht als Dauerlösung. Nicht gerecht wird es etwa jener wachsenden Schar der Jungakademiker, die sich mehr oder minder freiwillig als kleine Selbständige durchschlagen. Ihr Einkommen lässt sich nicht via Lohnsteuerkarte ermitteln. Aber gerade sie gehören zur Zielgruppe der neuen mittelschichtsorientierten Familienpolitik.

Unklar ist ebenfalls, ob das neue Elterngeld so gestaltet wird, dass am unteren Ende der Einkommensskala niemand schlechter dasteht als mit der jetzigen Regelung. Doch nur dann ist eine gezielte Förderung der gutverdienenden Mittelschicht sozial vertretbar.