Leerlaufen beim Vorspiel

Mit der Gagosian Gallery zeigt sich seit Monaten, wohin die Kuratoren der 4. Berlin Biennale steuern: Sie wollen eine VIP-Kunst-Boheme aus dem Boden stampfen– und nehmen dafür Glamour, der blind ist für die Kontexte der Stadt, gleichgültig in Kauf

von HARALD FRICKE

Das Berliner Parkett besteht aus lauter Büchern. Hübsch über den Fußboden verteilt bilden sie ein sparsames Muster. Es sind dünne Bändchen in aprikotfarbenen Umschlägen: Die MacherInnen der Zeitschrift Starship haben einen Text von Oswald Wiener nachgedruckt, der sich mit Dandyismus und Stilkritik beschäftigt. Das ist ihr Beitrag zur Ausstellung „Friends and Enemies“ in der Gagosian Gallery, einer Dependance der Berlin Biennale 04, am oberen Ende der Auguststraße, kurz vor Hackbarth’s.

Wieners Essay erschien 1982. Er handelt von Verweigerungsstrategien, davon, dass der Dandy „selbstbeobachtung ohne theoretisches interesse“ betreibt und sich notfalls auch „nach innen“ zurückzieht, um dem Zugriff des Kulturbetriebs zu entfliehen. Der Text markiert ganz gut die Haltung der „Starship“-Leute: Einerseits hat man die Einladung des Biennale-Teams angenommen, andererseits hat man Bedenken, als subkulturelles Leckerli ein Teil des Spektakels zu sein.

Die Zweifel sind wohl berechtigt. Kurz nach Eröffnung stehen zwei der Biennale-Kuratoren, Massimiliano Gioni und Maurizio Cattelan, in dem kleinen Hinterraum, ihr Blick schweift einmal über den von „Starship“ gestaltete Bücherteppich. Cattelan fragt, was die Arbeit soll, Gioni murmelt etwas von „idealismo“. Dann wenden sich beide schulterzuckend dem Champagner zu, der von den „autocenter“-Betreibern Joep van Liefland und Maik Schierloh in einer authentisch verwilderten Atmosphäre aus Reifenstapeln und Kotflügeln ausgeschenkt wird.

„Friends and Enemies“ markiert die vierte Gagosian-Ausstellung im Vorfeld der Biennale. Häppchenweise soll hier Aufmerksamkeit für den im März startenden Hauptevent geschaffen werden. Seit September wurden deshalb an die hundert Künstler und auch ein paar Künstlerinnen ziemlich wahllos durch die Räume geschleust – Skizzenblätter, Recherchematerial, Trash und Nippes inklusive. Das Augenmerk liegt auf Extravaganz und Inszenierung, einzelne Arbeiten sind völlig unwichtig: Olaf Metzel durfte seine Aschenbechersammlung zeigen, von Rainald Goetz gab es ein rührend unbedarft gezeichnetes Warhol-Porträt; Dorothy Iannone stellte einmal mehr ihre Liebesbeziehung zu Dieter Roth aus und Johnny Depp im Wackelvideo die vermüllte Junkie-Wohnung des Chili-Peppers-Gitarristen John Frusciante.

Nun sind eben „Starship“, der Display-Künstler Tilman Wendland und die Jungs von „autocenter“ mit ihrer Kfz-Werkstatt-Simulation an der Reihe. Immerhin passt der Fake-Charakter zum Humor der Biennale-Kuratoren, so wie die von ihnen ins Leben gerufene Gagosian Gallery ja auch den berühmten New Yorker Kunsthandelsmulti Larry Gagosian parodiert, der in seinen sechs US-Filialen ähnlich einem Großmarkt 146 Künstler vertritt.

Offenbar hat es die Biennale-Leitung mit solchen Superlativen. Vor ein paar Wochen kam mit „Checkpoint Charley“ ein 700-Seiten-Reader heraus, angeblich das Resultat monatelanger Atelierbesuche. Aber was meint hier Reader und was Besuch? „Checkpoint Charley“ wurde lieblos aus Bewerbungsmappen und Katalogen am Kopierer zusammengehauen, über die einzelnen Künstler erfährt man nichts: ein Sammelsurium aus Namen und schlechten Reproduktionen.

Besser hätten Gioni, Cattelan und die ebenfalls zum Team gehörende Publizistin Ali Subotnik gar nicht ausdrücken können, dass sie sich für die Situation von Kunst in Berlin nicht interessieren. Die Stadt ist ihnen fremd, das merkt man auch dem Tagebuch der Kuratoren an, das in der FAS abgedruckt wurde. Dort war mit einigem Erstaunen von einer für Berlin so typischen Schluffigkeit die Rede: Während etwa New York über ein gut funktionierendes System aus Profis, In-Crowd und VIP-Zirkeln verfüge, würden hier alle bloß in ihren Ateliers, temporären Räumen oder gleich in ihrer Ofenheizungswohnung vor sich hin bosseln.

Über so viel Phlegma, womöglich auch Eigensinn darf sich ein Künstler wie Cattelan, der international zu den Hot 100 gehört, natürlich lustig machen, seine Gleichgültigkeit rechtfertigt es nicht. Zumal es auch zwei Monate vor der Eröffnung für die Biennale so gut wie kein Konzept gibt. Wann immer Gioni, Cattelan und Subotnik in letzter Zeit nach Inhalten gefragt wurden, kamen vage Andeutungen: „Vergänglichkeit, Geburt, Angst und Hoffnung“ seien die Themen, festlegen wolle man sich mit dem Hinweis auf künstlerische Freiheit nicht. Als die ersten Klagen kamen, weil auf der Künstlerliste nicht einmal ein Viertel Frauen stehen, hieß es lapidar, man habe „einfach nicht so viel gute Kunst von Künstlerinnen gefunden“.

Provokation oder Schlamperei? Sicher ist, dass das bb04-Team es nicht theoretisch mag, sondern „eher poetisch“, wie Cattelan erklärt hat. Bislang bedeutet das: viel leer laufender Glamour, blind für politische, ökonomische und soziale Kontexte. Denn die Gagosian Gallery erfüllt lediglich den Zweck, mit Underground-Attitüde für das demnächst anstehende Kerngeschäft zu werben. Sie versucht, über die im Monatsrhythmus stattfindenden Ausstellungen eine Art Society-Treff herzustellen. Selbst mitten im Metallschrott von „autocenter“ hat man das Gefühl, sich auf einer Bühne zu bewegen, auf der gerade das Vorspiel zur Biennale abläuft. Lauter Subkulturdarsteller, lauter 90er-Jahre-Kellerclub-Bohemismus, aber in sauber gestrichenen Räumen und von der Bundeskulturstiftung mit einem schwindelerregend hohen Budget von 2,5 Millionen Euro ausgestattet.

Die Berlin Biennale 04 wird ein Imitat sein; sie wird versuchen, die diffuse Berliner Aufbruchstimmung von früher in eine themenparkartige Form zu gießen. Kein Inhalt, nur Mythos. Vielleicht ist die ablehnende Teilhabe von „Starship“ dieser Verklärung aus zweiter Hand durchaus angemessen.

Friends and Enemies, bis 1. 2., Di.–Sa. 12–18 Uhr, Gagosian Gallery, Auguststraße 50a. www.berlinbiennale.de