Vier Tage Betrieb, ein Tag Uni

BERUFSORIENTIERUNG Abiturientinnen können während des sechsmonatigen „Technikums“ testen, ob ihnen Studienfächer wie Maschinenbau oder Elektrotechnik liegen

VON JOACHIM GÖRES

Abiturientinnen studieren nur selten Maschinenbau, Informatik, bestimmte Naturwissenschaften oder Technik – Frauen scheuen nach wie vor diese „männlichen“ Fächer. Das Modellprojekt „Technikum“ soll das ändern und führt Frauen an technische oder naturwissenschaftliche Fächer durch sechsmonatige Praktika bei Unternehmen in Niedersachsen heran. Die Teilnehmerinnen lernen zudem einmal die Woche den Uni-Alltag in diesen „MINT“-Fächern an einer von einem Dutzend niedersächsischer Hochschulen kennen. Junge Frauen sollen so zu einem Ingenieursberuf ermutigt werden. Mit Erfolg: 86 Prozent der 60 Teilnehmerinnen des gerade beendeten ersten Technikums wollen mit einem MINT-Studium beginnen.

Zu ihnen gehört auch Marlitt Scharnofske. „In der Schule“, erzählt sie, „hatte ich Deutsch, Englisch und Kunst als Leistungskurse. In Mathe war ich gut, hatte aber Angst, den Leistungskurs nicht zu schaffen.“ Nach dem Abi habe sie eigentlich Verfahrens- und Umwelttechnik studieren wollen, sei dann aber doch unsicher geworden. „Deswegen habe ich mich erstmal zur Orientierung für das Technikum entschieden.“

Ein halbes Jahr war sie bei Bosch in Hildesheim und hat dort Lehrgänge wie Elektronik und Mechanik besucht. „Ich habe gemerkt“, sagt sie, „dass ich mich unter den vielen Männern nicht verstecken muss und bin selbstsicherer geworden“, sagt die 20-Jährige. Sie studiert nun seit sechs Wochen Maschinenbau an der Hochschule Hannover – als eine von vier Frauen unter knapp 100 männlichen Erstsemestern. Wie läuft es bisher? „Der Stoff ist schwieriger, als ich es mir vorgestellt habe. Aber ich lasse mich nicht so schnell abschrecken.“

Eine Erfahrung, die auch Sina Dobelmann gemacht hat. Sie hat ihr Technikum bereits vor drei Jahren absolviert – damals hatte es die Hochschule Osnabrück erstmals angeboten. „Ich wollte ursprünglich eine technische Berufsausbildung machen, denn ein Studium hätte ich mir nicht zugetraut. Beim Technikum bei Miele in Gütersloh habe ich aber Berufsfelder kennengelernt, die mir nur mit einem Studium offenstehen. Deswegen habe ich danach an der Hochschule Osnabrück angefangen, Elektrotechnik zu studieren“, erzählt sie – und ist die einzige Studentin unter 60 Männern.

Das erste Semester lief nicht so gut. „Ich habe mich nicht getraut, jemanden zu fragen, ob wir gemeinsam lernen können, weil ich Angst hatte, dass das falsch verstanden wird. Im zweiten Semester habe ich dann einige Jungs kennengelernt – seitdem haben wir eine sehr gute Lerngruppe.“ Die wird allerdings kleiner: etliche Kommilitonen haben frustriert das Studium geworfen. Dobelmann will sich durchbeißen, auch wenn sie schon durch einige Klausuren gefallen ist: „Ich weiß, warum ich das hier mache, denn ich habe ein konkretes Arbeitsfeld vor Augen, in dem ich später mal arbeiten will.“

„Wichtig ist, dass man im Studium nicht auf sich alleine gestellt bleibt. Deshalb vermitteln wir auch Kontakte unter den Technikantinnen“, sagt die Soziologin Barbara Schwarze. Die Professorin an der Hochschule Osnabrück ist Initiatorin des Technikum-Programms und stieß von Anfang an bei den Unternehmen auf Interesse. „Viele klagen über den Fachkräftemangel, und da interessierte Männer von alleine in die technischen Studiengänge gehen, bleiben nur die Frauen, die man stärker ansprechen muss. Für dieses Jahr haben wir deutlich mehr Plätze für Technikantinnen, weil immer mehr Unternehmen mitmachen“, so Schwarze. Wer sich bei ihr bewirbt, wird zu einem Gespräch eingeladen, auch bei einer schlechten Mathezensur. „Die Motivation ist entscheidend.“

Nach dem Gespräch werden fast alle Bewerberinnen an eine der Kooperationsfirmen vermittelt. Alleine VW stellt 25 Plätze zur Verfügung. Das Unternehmen will bei der Einstellung von Akademikern einen Frauenanteil von 30 Prozent erreichen. Unter den AbsolventInnen eines Maschinenbau-Studiums befinden sich aber laut VW nur zehn Prozent Frauen. „Wir haben bisher gute Erfahrungen mit den Technikantinnen gemacht. Die Teilnehmerinnen sind sehr engagiert“, sagt Elke Heitmüller, Leiterin der Frauenförderung bei VW.

Das Technikum, für das sich auch Interessentinnen aus anderen Bundesländern bewerben können, beginnt im September.

www.niedersachsen-technikum.de