Politik unter Palmen

Vom Marshall-Plan bis zum Koreakrieg bei entspanntem Hemingway-Feeling: In einer Holzvilla in Key West wurde einst Weltpolitik gemacht. Das Ferienhaus des 33. amerikanischen Präsidenten Harry S. Truman ist heute ein Museum

VON STEFANIE BISPING

Lasziv räkelt sich die 19-jährige Lauren Bacall auf dem Flügel und lauscht dem Klavierspiel von Präsident Harry S. Truman. Der greift mit blitzenden Augen in die Tasten. Das großformatige Schwarzweißfoto von einer Gala für verdiente Beamte hängt heute im ersten Stock des „Little White House“ auf Key West, wo ein Film in Leben und Werk seines einstigen Bewohners einführt. „Jeder war begeistert von diesem Bild – außer Mrs Truman“, erklärt Führerin Susan.

Dabei galt Truman (1884–1972) anders als manch anderer Amtsinhaber in Fragen ehelicher Treue als sehr gefestigt. Und selten sah man ihn im Rampenlicht wie hier mit der jungen Bacall. Die Tour durchs „Kleine Weiße Haus“, das Ferienhaus Trumans, erzählt die Geschichte eines amerikanischen Staatsoberhauptes, dessen Präsidentschaft seines zurückhaltenden Auftretens wegen gelegentlich unterschätzt wird. „The most uncommon commoner“ wurde der Mann aus Missouri genannt, der seine Kindheitsfreundin heiratete und es ohne Hochschulabschluss zum höchsten politischen Amt brachte.

Nach knapp drei Monaten als Vize wurde Truman im April 1945 nach dem Tod Roosevelts 33. Präsident der USA. Elf Monate später brach er erschöpft zusammen. Ruhe und warmes Wetter verordneten die Ärzte, ein Höchstmaß an Sicherheit sein Amt. Die Summe dieser Erfordernisse hieß Key West. Der südlichste Zipfel Floridas, heute ein Ferienort, der täglich von Kreuzfahrern auf Landgang überschwemmt wird, war damals ein verschlafenes Fischerdorf. Mit seiner Frau Bess, Tochter Margaret und seinen engsten Mitarbeitern traf Truman an einem Frühlingstag des Jahres 1946 ein. Sie bezogen ein 1890 erbautes Haus, das der Marine gehörte und in dem Erfinder Thomas Alva Edison im Ersten Weltkrieg residiert hatte, um Abwehrmaßnahmen gegen U-Boote zu entwickeln. Trumans fühlten sich wohl. Morgens ging der Präsident an den Strand, der heute nach ihm benannt ist, später am Tag versammelte er seinen Stab zur Besprechung.

Seit 1991 ist das Kleine Weiße Haus ein Museum. Fotos zeigen den Präsidenten in Leinenhosen und Hawaiihemd, im Boot mit einem Fisch an der Angel und am Schreibtisch zwischen Telefon und Globus, Gesetzesentwürfe unterzeichnend. Seinen „Lieblingsplatz auf Erden“ nannte er die Holzvilla am Meer: „Ich würde am liebsten herziehen und bleiben.“ Doch obwohl eine Standleitung nach Washington, D. C. gelegt wurde und Dokumente und Depeschen die Küste hinauf- und hinabjagten, blieben seine Besuche auf ein paar Wochen im März und November beschränkt.

Truman war musikalisch und belesen, und wiewohl die Staatsgeschäfte ihm in den Urlaub folgten, nahm er sich in Key West Zeit für Klavierspiel und Lektüre. Auf der Veranda, die den ersten Stock umschließt, las er Biografien und immer wieder Mark Twain. Wenn er aufblickte, sah er Palmen und blühende Bougainvillea. In seinem Schlafzimmer steht der kleine Tisch, an dem er viele der 1.500 Briefe an seine „dear Bess“ schrieb. Nie habe Truman von seinem Recht Gebrauch gemacht, seine Privatpost auf Staatskosten zu verschicken, berichtet Susan; jeden Brief habe er mit 3 Cent freigemacht.

Wände und Teppich sind dunkelblau wie zu Trumans Zeiten und bilden das gedämpfte Gegenstück zum hellen, mit Rosenbildern dekorierten „Ladies Room“, in dem Margaret und Bess wohnten. Das Sofa für den Mittagsschlaf ist erhalten, auf dem Sessel liegen ein Stetson, wie der Präsident ihn gerne trug, und ein Spazierstock; daneben steht ein großer Aschenbecher. Zwar rauchte Truman nicht, doch das Kleine Weiße Haus kannte eine Zeit, in der Zigaretten zum amerikanischen Alltag gehörten wie Zahnpasta.

Momentaufnahmen der Nachkriegsgeschichte. Truman habe die Entscheidung, Atombomben über Hiroschima und Nagasaki abzuwerfen, nie bereut, erklärt unsere Führerin Susan. Deutschland brachte seine Regierung den Marshall-Plan und die Berliner Luftbrücke. Die Nato wurde geschaffen, und mit dem Koreakrieg eskalierte der Ost-West-Konflikt zum ersten Mal. Es war eine Zeit des Umbruchs.

Nur in Key West veränderte sich nichts. Morgens fuhr man zum Fischen, mittags betäubte drückende Hitze den karibischen Vorposten der USA, abends markierte das Zischen sich öffnender Bierflaschen das Ende des Tages. In diesem Ambiente mischte sich Privates zwanglos mit Politik.

Fotos im Esszimmer zeigen Trumans Nachfolger Dwight D. Eisenhower, der sich hier 1956 von einem Herzinfarkt erholte, und einen besorgt blickenden Kennedy beim Treffen mit dem britischen Premier Harold Macmillan 1961. Jimmy Carter ist hemdsärmelig im Kreis von Freunden und Familie abgebildet, Clinton mit Hillary. Und manchmal diente der tropische Zauber Key Wests als diplomatischer Joker.

Im April 2001 lud Colin Powell die Präsidenten von Aserbaidschan und Armenien zum Fischen hierher. Auf der Agenda standen Hemingway-Feeling und Friedensgespräche.