Neonazis drohen Höchst-strafen: „lebenslänglich“

PROZESS In der Verhandlung wurde deutlich, dass die vier Angeklagten „schwierige Lebensläufe“ haben

Psychiatrischer Gutacher: „Marcel B. weist kindliches Verhalten auf“

BERLIN taz | Kurz vor Ende der Verhandlung um vier Neonazis, die versucht haben sollen, in Berlin einen Mann mit einem sogenannten Bordsteinkick zu töten, hat die Jugendgerichtshilfe gefordert, bei dem jüngsten Angeklagten das Jugendstrafrecht anzuwenden.

Marcel B. sei zwar schon 21 Jahre alt, aber noch stark in den elterlichen Haushalt eingebunden, hieß es. Ein Gutachter sprach von „kindlichem Verhalten“. Zudem hätten die knapp sieben Monate in Haft den jungen Mann „sehr beeindruckt“.

Sollten die Angeklagten verurteilt werden, droht drei von ihnen die Höchststrafe: lebenslange Haft. Marcel B. könnte nach dem Jugendstrafrecht verurteilt werden. Das sieht für versuchten Mord eine Höchststrafe von zehn Jahren Haft vor.

In den psychiatrischen Gutachten, die in der Verhandlung am Dienstag vorgestellt wurden, zeichnen sich bei allen vier Angeklagten schwierige Lebensläufe ab. So soll es in der Familie des Hauptangeklagten mehrfach zu Gewalt gegen den jungen Mann gekommen sein. Ein Zweiter ist seit seinem 11. Lebensjahr in diversen Heimen aufgewachsen. Die Mutter des Vierten verstarb, als er vier war. Er wurde von seiner Großmutter großgezogen. Den vier Angeklagten wird vorgeworfen, im vergangenen Juli nach einem Diskobesuch einen 22-jährigen Mann in Berlin-Friedrichshain fast umgebracht haben. Der Anklageschrift zufolge wollten sie Macht gegenüber dem „vermeintlichen politischen Gegner“ demonstrieren. Das Opfer kam mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus.

Relativ unumstritten ist, dass der Hauptangeklagte Oliver K. bis zuletzt auf den bewusstlosen jungen Mann eintrat. Polizisten sagten aus, dass er wahrscheinlich weiter getreten hätte, wenn sie ihn nicht weggezogen hätten.

Oliver K. hat die Tat zum Teil eingestanden. Er sei von dem 22-jährigen Jonas K. angegriffen worden und sei ausgerastet, ließ er durch seinen Anwalt verlesen: „Mir war nicht klar, dass es so schlimm war.“ Er bestritt allerdings eine politische Dimension und will sein Opfer nicht als Linken wahrgenommen haben. Eine Zeugin soll aber die Worte gehört haben: „Du Zecke wirst nicht mehr aufstehen.“

Ob und wie die anderen drei Männer beteiligt waren, ist noch ungeklärt. Einer der Neonazis soll selbst verletzt gewesen sein und war Passanten zufolge unbeteiligt hin und her gelaufen. Ein anderer sei gar nicht wahrgenommen worden, so dass die Richter ihn aus der Untersuchungshaft entließen. Der Dritte will versucht haben, Oliver K. zurückzuhalten.

Die vier Angeklagten standen bereits früher wegen Körperverletzung vor Gericht, auf Bildern im Internet sind sie mit NPD-Plakaten und Hitlergruß zu sehen.

LALON SANDER