Güterwagen bekommen leise Sohlen

TAG DES LÄRMS Rumpelnde Waggonräder auf rauen Schienen stressen Anwohner an Bahnstrecken und stören ihre Nachtruhe. Nun will die Deutsche Bahn den Krach bis 2020 halbieren

BERLIN taz | Der Verkehr auf der Schiene boomt, neue Kapazitäten werden geschaffen, Trassen ausgeweitet, Überholgleise verlängert. Für die Umweltbilanz insgesamt ist das gut – nicht jedoch für die Belastung von Mensch und Natur durch Lärm. Hier hat die Bahn insbesondere bei Güterwaggons noch Nachholbedarf: Jeder vierte Bundesbürger gibt an, unter Schienenlärm zu leiden. Das soll nun besser werden. Bis 2020, so verspricht die Deutsche Bahn AG, will sie den Lärm um die Hälfte reduzieren. Wenn man in den kommenden Jahren noch mehr Verkehr auf die Schiene bringen wolle, „müssen wir auch aus gesellschaftlicher Sicht für Akzeptanz sorgen“, erklärt Ines Jahnel, die Lärmschutzbeauftragte des Staatskonzerns.

Dabei setzt die Bahn auf sogenannte Flüsterbremsen. Diese sollen den Lärm dort entscheidend reduzieren, wo er entsteht. Die Technik dafür gibt schon lange: eine Verbundstoff-Bremssohle, die die Waggonräder nicht mehr aufraut wie die hierzulande gängigen Graugussbremsen, die noch aus dem vorletzten Jahrhundert stammen – wenn Rad und Schiene glatt sind, ist das Rollgeräusch deutlich geringer.

Auf dem internationalen Markt sind solche Modelle seit 2003 uneingeschränkt zugelassen. Bislang allerdings war die leise Lösung der Bahn schlicht „zu teuer“. Laut Jahnel hätte das Umrüsten alter Güterwagen mit den gängigen Modellen bis zu 7.000 Euro pro Wagen verschlungen.

Doch inzwischen ist ein kostengünstigeres Modell in Sicht, für das – anders als bei den bisherigen Varianten – nicht mehr das gesamte Bremssystem umgebaut werden muss. Zwischen 1.700 und 1.900 Euro würde die Umrüstung mit der neuen Sohle pro Güterwagen kosten.

Der neue Belag, an dessen Entwicklung die Bahnzulieferer Wabtec/Becorit, Bremskerl, Honeywell, Federal Mogul und TMD Friction beteiligt waren, sei im Rahmen des Projekts „Europe Train“ auf einer 2.200 Kilometer langen Strecke bereits erfolgreich getestet worden, so die Bahn. Bis Ende 2014 sollen 1.250 Bestandsgüterwagen die neuen Sohlen bekommen.

Das ist jedoch nur ein erster Schritt. „Für eine wirklich große Wirkung brauchen wir die Zusammenarbeit aller“, sagt Jahnel. Damit die Flüsterbremse flächendeckend ihre Wirkung entfalten kann, müssen rund 80 Prozent aller Laufleistungen auf den Schienen mit den neuen Auflagen ausgestattet werden. Das bedeutet, dass 180.000 Wagen umgerüstet werden müssen. Etwa 60.000 davon gehören der Bahn-Tochter Schenker Rail, jeweils ebenso viele privaten deutschen Anbietern und ausländischen Bahngesellschaften. Der große Wurf soll nach Vorstellungen der Bahn gelingen, indem die Nutzung von Flüsterbremsen im Trassenpreissystem belohnt wird. Vereinfacht gesagt: Wer nicht umrüstet, zahlt drauf.

Welche zusätzliche Möglichkeiten es gibt, das Problem Schienenlärm zu lösen, zeigt ansatzweise das Konzept „DB 2020“, das auf dem „Sonderprogramm Lärmschutz Schiene“ basiert. Im Rahmen des Infrastrukturbeschleunigungsprogramms II des Bundes soll die Bahn zusätzliche 40 Millionen Euro für die Lärmbekämpfung bekommen. 55 Kilometer Lärmschutzwände sind damit bereits errichtet worden, weitere 55 Kilometer sollen folgen. Daneben investieren Bund und Bahn wie im vergangenen Jahr knapp 100 Millionen Euro von Bund und Bahn in das Projekt „Leise Schiene“. Das dürfte knapp werden: Von 34.000 Kilometern Streckennetz gelten nach Angaben der Bahn 3.700 Kilometer als besonders lärmend.

CAROLIN SEIDEL