Razzia gegen Tamilen in Colombo

Bei einer Militär- und Polizeiaktion in den tamilischen Wohnvierteln in Sri Lankas Hauptstadt werden mehr als 900 Menschen festgenommen. Der Waffenstillstand scheint nach Anschlägen und Militäraktionen ernsthaft in Gefahr

WIEN taz ■ Mit einer Großrazzia in tamilischen Vierteln der Hauptstadt Colombo haben Armee und Sicherheitskräfte Sri Lankas versucht, einer Attentatsoffensive der Rebellenorganisation LTTE zuvorkommen. „Strangers Night III“ hieß die Operation, bei der in der Nacht auf Silvester 2.000 Soldaten aus Armee, Luftwaffe und Marine gemeinsam mit 1.500 Polizisten die Wohnbezirke der tamilischen Minderheit durchkämmten und über 900 Personen, darunter 105 Frauen, festnahmen und verhörten. Neben gültigen Papieren mussten sie auch plausible Gründe für ihren Aufenthalt in Colombo vorweisen. Zwei Jugendliche wurden dabei auf offener Straße schwer misshandelt.

Präsident Mahinda Rajapakse, seit November im Amt, hatte mit einer harten Position gegenüber den Tamilen Wahlkampf geführt und angekündigt, er wolle den seit fast vier Jahren andauernden Waffenstillstand mit den Tamilischen Befreiungstigern neu verhandeln. LTTE-Chef Velupillai Prabhakaran drohte daraufhin, den „Kampf um die nationale Selbstbestimmung“ zu intensivieren und in alle Landesteile zu tragen.

Das Waffenstillstandsabkommen vom Februar 2002 wurde zwar bisher von keiner Seite offiziell aufgekündigt, doch sorgen Attentate und Militäraktionen in den letzten Wochen im tamilischen Norden für Krisenstimmung. Kurz vor Weihnachten wurden 13 Marinesoldaten unweit der Stadt Mannar an der Nordwestküste von einer Claymore-Mine zerrissen. Diese Minen werden nicht vergraben, sondern von Hand gezündet. Zwar übernahm niemand die Verantwortung für den Hinterhalt, doch folgte eine Verhaftungswelle unter mutmaßlichen tamilischen Aktivisten. Vor wenigen Tagen präsentierte die Armee unweit von Mannar ein Depot von Claymore-Minen, das von der LTTE angelegt worden sein soll. Diese bestreitet das.

Kleinere Überfälle auf Armeepatrouillen und Vergeltungsaktionen der Soldaten stehen vor allem auf der Halbinsel Jaffna im äußersten Norden auf der Tagesordnung. Mehr als 40 Militärs wurden allein im Dezember Opfer von Anschlägen. Am Neujahrstag wurden zwei weitere Soldaten durch eine Handgranate verletzt.

Aber auch der ethnisch gemischte Osten wird von einer Welle der Gewalt heimgesucht. Während der Christmette in der Stadt Batticaloa erschossen unbekannte Killer den tamilisch-katholischen Abgeordneten Joseph Pararajasingham von der Tamilenpartei TNA. Parteigenossen machten den srilankischen Geheimdienst und paramilitärische Milizen für das Attentat verantwortlich.

Rund um Batticaloa operiert die vor zwei Jahren von der LTTE abgespaltene Dissidentengruppe von Major Karuna unter dem Schutz der Armee. In Trincomalee, nördlich von Batticaloa, rief die LTTE aus Protest gegen die Ermordung Pararajasinghams zu einem eintägigen Generalstreik gegen die Armeepräsenz auf. Ausländische Beobachter, die über den Waffenstillstand wachen, fürchten um den prekären Frieden. Der Waffenstillstand war von Norwegen vermittelt worden. Die singhalesische Mehrheit sieht die norwegischen „Facilitators“ als zu tamilenfreundlich. Deshalb akzeptierte Präsident Rajapakse die Fortsetzung dieser Mission erst nach längerem Zögern. Es soll über eine noch zu definierende Art von Autonomie für die Tamilengebiete gehen, nicht um nationale Selbstbestimmung. Bisher konnten sich Regierung und LTTE aber nicht auf einen Tagungsort für eine Fortsetzung des 2003 unterbrochenen Dialogs einigen. Während Rajapakse Japan favorisiert, wollen die Tiger ein Treffen in Europa, wo sie seit der Ermordung von Außenminister Lakshman Kadiragamar im vergangenen August auf der Liste der Terrororganisationen stehen und von keiner Regierung mehr empfangen werden. RALF LEONHARD