„Das Theater hat noch eine Kraft“

Sasha Waltz

„Das ist für mich das Positive am Theater: Hier kann und muss man sich ein, zwei Stunden mit etwas auseinander setzen, ohne gleich auf den nächsten Kanal umzuschalten“

Nicht nur in Berlin ist ihr Name längst ein Synonym für zeitgenössisches Tanztheater. Zusammen mit ihrem Lebensgefährten Jochen Sandig gründete Sasha Waltz 1993 die Compagnie „Sasha Waltz & Guests“, drei Jahre später verwandelten sie die Sophiensæle in eine heute nicht mehr wegzudenkende Spielstätte für die freie Szene. Im Jahr 2000 übernahmen sie zusammen mit dem Regisseur Thomas Ostermeier die Schaubühne am Kurfürstendamm. Waltz jüngste Inszenierung „Gezeiten“ könnte ihre letzte an der Schaubühne sein: Die 42-Jährige hat sich mit Ostermeier überworfen und konzentriert sich wieder auf Produktionen mit ihrer Compagnie. Berlin aber will die gebürtige Karlsruherin die Treue halten. Die Stadt sei nach wie vor in Bewegung.

INTERVIEW TINA HÜTTL
UND GEREON ASMUTH

taz: Frau Waltz, zeitgenössischer Tanz ist für weniger Tanz-affine Menschen oft schwer zugänglich. Wie erklärt man solchen Menschen die Schönheit, die darin liegt?

Sasha Waltz: Ich weigere mich grundsätzlich, meine Arbeit zu „erklären“. Meine Erfahrung ist, dass unsere Zuschauer sehr neugierig und offen für andere Formen jenseits der gängigen Ausdrucksmöglichkeiten sind. Es geht mir dabei nicht nur um „Schönheit“: Das Leben besteht ja auch aus Widersprüchen.

Ihre Formen lassen viel Interpretationsspielraum.

„Verständlichen Tanz“ – so etwas gibt es für mich eigentlich nicht. In Publikumsgesprächen finde ich es immer problematisch, wenn die Frage kommt: „Habe ich das jetzt so richtig verstanden?“ Dann antworte ich: „Wenn Sie dieses Bild so begreifen, dann ist das richtig.“ Ich will doch niemandem vorschreiben, was er zu denken hat. Ich gebe eher eine Richtung an, gebe einen Impuls für individuelle Assoziationen.“

Ihr neuestes Stück ist nicht so subtil, sondern sehr direkt. Es heißt „Gezeiten“ und kam ein Jahr nach dem Tsunami in Südasien auf die Bühne. Sie haben auch einen Spendenaufruf der Hilfsorganisation Care für die Erdbebenopfer in Pakistan unterstützt.

Ich habe dieses Thema tatsächlich sehr ernst genommen, wenn Sie das mit „direkt“ meinen. Das Stück beschäftigt sich mit Transformationen, und ich wollte ganz bewusst einen thematischen Zusammenhang zu Katastrophen herstellen, ohne völlig abgehoben darüber zu sprechen. Ich habe viel abstrahiert, bin aber auch sehr konkret und konfrontativ geworden, um zu verhindern, dass man sich sofort wieder davon distanziert. Das ist für mich auch das Positive am Theater: Hier kann und muss man sich ein, zwei Stunden mit etwas auseinander setzen, ohne gleich auf den nächsten Kanal umzuschalten. Dass manche Kritiker unseren Spendenaufruf irritierend fanden, hat mich verwundert.

Warum?

Weil sie oft Künstler für ihr mangelndes politisches Engagement kritisieren. Das Theater hat noch eine Kraft, jenseits des allgemeinen Zynismus. Deswegen bin ich diesmal so extrem in diese Richtung gegangen.

Waren Sie selbst von der Flutkatastrophe betroffen?

Nicht persönlich. Aber ich denke, wir sind immer alle betroffen. Darum geht es mir eigentlich. Die Entscheidung, das Stück zu machen, kam mir zur Zeit des Tsunami. Aber schon seit 2001 hat sich das Lebensgefühl extrem verändert. Das Gefühl von permanenter Bedrohung, von Instabilität ist gewachsen. Das mag es auch vorher schon gegeben haben, aber durch den Anschlag auf das World Trade Center ist irgendetwas in unserem Weltbewusstsein zerbrochen. Zumindest empfinde ich das so.

Sind Sie als Choreografin immer inspiriert von persönlichen Betroffenheiten?

Gerade das Katastrophenthema ist ja eines, das über mich hinausgeht. Ich lebe hier in relativer Sicherheit. Aber das Gefühl, dass alles unsicherer wird – davon sind wir alle betroffen. Ich muss grundsätzlich von etwas bewegt sein, etwas, was mich fesselt und mir dringlich erscheint.

Wir hätten da einen Themenvorschlag: Eine Gruppe junger Künstler bekommt die große Chance, gemeinsam ein Theater zu bespielen. Aber mit der Zeit merken sie, dass sie gar nicht dasselbe wollen. Sie zerstreiten sich, es geht um Enttäuschungen, es geht um Geld – und am Ende trennt man sich.

Da könnte ja vielleicht Roland Schimmelpfennig ein Stück darüber machen. Mich interessiert das nicht besonders.

Sie lachen? Dabei war die Trennung ihrer Compagnie von der Schaubühne das große Drama der vergangenen Monate in der Kulturszene. Der Regisseur Thomas Ostermeier klagte, dass die Schaubühne vor der Insolvenz stehe, weil Sie einen Teil des gemeinsamen Etats mitgenommen haben. Und Ihre Compagnie ist nun auch nicht gerade üppig ausgestattet. Fühlen Sie sich in Berlin eigentlich genug gewürdigt?

Dass die Schaubühne Ursache und Wirkung vertauscht hat, möchte ich hier nicht kommentieren. Wir lassen das im neuen Jahr hinter uns. Die Parlamentarier haben beschlossen, einen eigenen Haushaltstitel für uns einzurichten, damit der Dauerkonflikt um Finanzen ein Ende hat. Das war ein sehr positives Signal. Die Unterstützung durch die Senatsverwaltung war immer konstruktiv. Was jetzt konkret dabei herauskommt, wie viel Geld wir real zur Verfügung haben und dass wir jetzt die Compagnie fast halbieren müssen, das ist natürlich nicht erfreulich. Aber es hat auch keinen Sinn zu jammern.

Dabei ist das der Lieblingssport in Berlin.

Wir wissen alle, dass Berlin so gut wie kein Geld hat, und müssen daher versuchen, andere Wege zu gehen, neue Ressourcen zu erschließen und auch private Geldgeber zu finden. Das heißt nicht, dass ich den Staat aus seiner Verantwortung gegenüber der Kultur entlasse! Aber ich darf es einfach nicht persönlich nehmen, dass es in dieser Stadt so wenig Geld gibt – als ob meine Arbeit nicht wertgeschätzt würde. Ich sehe die Unterstützung überall, erlebe wie begeistert das Publikum reagiert. Das ist für mich wichtig.

Aber Sie sitzen auf einer Zeitbombe: Der größte Teil Ihres Geldes kommt jetzt vom Hauptstadtkulturfonds, und das ist zeitlich begrenzt.

Aber das weiß der Senat auch. Es ist klar, dass wir innerhalb dieser zwei Jahre anders gesichert werden müssen. Das war in den Gesprächen immer deutlich.

Trotz des ganzen Streits inszenieren Sie noch an der Schaubühne. Wie muss man dieses Konstrukt verstehen?

„Gezeiten“ ist ja noch im Rahmen der Kooperation entstanden. Es ist das erste Stück der Kooperation…

und das letzte?

Diese Art der Kooperation hat sich in der Praxis nicht bewährt. Ich kann mir dennoch vorstellen, in Zukunft wieder ein Stück an der Schaubühne zu realisieren. Wir bleiben dort ja präsent mit unserem Repertoire der Stücke von 2000 bis jetzt. Die Arbeiten anderer Choreografen, die wir in den vergangenen Jahren produziert oder eingeladen haben, werden wir an anderen Orten zeigen.

Wo kann man das in Zukunft sehen – wieder in den Sophiensælen, die Sie ursprünglich mit aufgebaut haben?

Das hängt von den Stücken ab. „Don’t we“ von Luc Dunberry lief gerade wieder mit großem Erfolg in den Sophiensælen. Wir haben das erste Stück des Videokünstlers Philipp Bussmann und Tänzers Christopher Roman koproduziert, das im Rahmen des Tanzkongresses im April in der Villa Elisabeth zu sehen sein wird – neben anderen Projekten für 2006, die aufgrund der finanziellen Situation vor allem kleine Formate haben.

Dabei hat die Compagnie „Sasha Waltz & Guests“ weltweit einen guten Ruf. Sie würden wahrscheinlich überall auf der Welt bessere Offerten bekommen. Warum halten Sie Berlin die Stange?

Weil ich die Stadt spannend finde. Berlin ist eine einzigartige Weltstadt, die eine hohe Lebensqualität bietet. Man kann hier im „Kiez“ als Mensch einigermaßen normal und günstig leben. Außerdem ist Berlin nach wie vor in großer Bewegung, wenn man es mit Paris oder anderen Städten in Europa vergleicht. Dort gibt es einfach nicht diese Leerräume, Brachen und Wunden der Vergangenheit, die immer wieder zu neuen Ideen oder Veränderungen führen. Paris ist auch eine faszinierende Stadt. Aber da ist alles schon so fertig, perfekt, durchgestaltet. Und der Staat ist an allem beteiligt. In Berlin entsteht Vielfalt durch Initiativen aus der Kunst und der Künstler oft aus dem Nichts heraus – aktuelles Beispiel ist der „White Cube“, die spontan organisierte und wohl letzte Ausstellung im Palast der Republik.

Berlin ist in Bewegung und will Hauptstadt des zeitgenössischen Tanzes werden. Hat das eine Chance?

Ich glaube, dass die Künstler selbst entscheiden, was die Tanzmetropole wert ist. In den vergangenen Jahren sind sehr viele Tänzer und Choreografen nach Berlin gekommen und zum Teil auch geblieben, obwohl es hier immer noch keine qualifizierte Ausbildung gibt – an deren Entwicklung ich mich übrigens beteilige. Die Projektförderung für zeitgenössischen Tanz ist im Vergleich zu anderen Städten jedoch relativ hoch. Auch für den künstlerischen Nachwuchs gibt es einige Orte und kleine Studios, wo man die Arbeiten zeigen kann.

Der Senat fördert bereits Projekte wie TanzZeit oder das TanzBüro als Koordinierungsstelle. Sind das geeignete Instrumente?

Das sind wichtige Signale. Fruchtbar sind Initiativen, die von Persönlichkeiten ausgehen. Der Zusammenschluss „TanzRaumBerlin“ ist wichtig, weil hier unterschiedliche Interessen gebündelt werden.

Die Initiativen muss der Staat aufnehmen.

Er kann sie aber nicht selbst ausdenken. Das kreative Milieu in Berlin hängt auch mit der sehr dezentralen Kulturlandschaft zusammen.

Auf der Bühne geben Sie das Geschehen vor. Sie arbeiten fast nur noch als Choreografin, kaum noch als Tänzerin. Gab es da einen Seitenwechsel?

Ich hatte schon früh Interesse daran, eigene Stücke zu machen, zu inszenieren. Anfänglich war ich immer auch als Tänzerin involviert. Das war für mich wichtig, um eine eigene Sprache zu entwickeln, die ja geprägt ist durch die eigenen Rhythmen und Empfindungen des Raumes. 1995/96 habe ich dann für „Allee der Kosmonauten“ eine neue, sehr junge Gruppe von Tänzern geformt, mit denen ich noch nie gearbeitet hatte. Da hatte ich das Gefühl, mich nicht zurückziehen zu können, um an einem Duett oder Solo zu arbeiten, sondern stärker zu erklären, was ich möchte.

Wie hat das Ihre Arbeit verändert?

Es war für mich eine Befreiung, plötzlich die Draufsicht zu haben, zu verstehen, wo die Probleme liegen. Und nicht nur gefühlsmäßig zu spüren: Hier ist etwas zu lang oder zu kurz. Von außen konnte ich die Probleme besser erkennen. Diese Distanz fand ich sehr hilfreich.

Und dann wollten Sie nie wieder selbst auf die Bühne?

Ich hatte ursprünglich den Plan, mich nach dem Probenprozess wieder in das Stück zu integrieren. Das habe ich dann doch nicht getan. Dann bin ich schwanger geworden, weshalb ich beim nächsten Stück auch nicht getanzt habe. So hat es sich entwickelt. Aber es war eine bewusste und sehr positive Entscheidung für mich. Kleinere Projekte tanze ich übrigens immer noch.

Und privat? Tanzen Sie mal in einem Club oder in der Disco?

Ich tanze manchmal gerne mit meinen Tänzern auf Premierenpartys. Aber das ist etwas anderes als der Moment auf der Bühne, wenn das Stück steht, wenn diese absolute Konzentration da ist.