VOM BEBELPLATZ, HAUPTSITZ DER FASHION WEEK, GIBT ES IMMER WENIGER ÜBERRASCHENDES ZU BERICHTEN. AN DESSEN RÄNDERN ABER FORMIEREN SICH DIE STYLE-FRONTEN
: Die Gesichter härter und das Parfum schwerer

AUSGEHEN UND RUMSTEHEN VON TIMO FELDHAUS

Während ich den Brief lese, lache ich verkniffen so lange in mich hinein, bis ich fast nicht mehr atmen kann. Später, ich durchschreite die Flughafenhalle, denke ich an die hervorragende Kollektion und die pinkfarbenen 80er-Klunker des jungen Designers Sam Frenzel, das 2.-Liga-Skandalspiel von 1992 zwischen Stahl Brandenburg und Bayer 05 Uerdingen und an Nina.

Auf der Bread & Butter ist unverkennbar, inwiefern sich das Männerbild in den letzten Jahren vom Metrosexuellen hin zum Holzfällertyp aus den 50ern zurückentwickelt hat, mit schwer gelackten Haaren, bolleriger Jeans und Karohemd. M. findet das schrecklichst konservativ. Sie schwärmt nostalgisch von der überhitzten Verspieltheit des Beckham-Hahnenkamms. Auf einer rustikalen Bank sitzen derweil Männer in Ugg-Boots und erzählen mit ernsthaften Gesichtern von „No-Brainern“ und Schuhen, die man jetzt baggy tragen müsse. M. findet das völligen Bla. Sie schwärmt von der Kollektion des Münchener Jungdesigners Patrick Mohr zwischen Babyspeck und Bodybuilding.

Plötzlich fällt mir ein szenekundiger Blogger in die Arme: Halt mich fest, bittet er, ich glaub, ich brauch das jetzt. Kauf mir ein Bier, ich trink es dann bei mir. Ich steige ein, fährt er fort und bin dann gern allein, zum Bebelplatz im Bus, zum Bebelplatz im Bus. Ich wende mich ab und lese verstohlen im derzeit angesagten Buch von Helene Hegemann: „In meinem Leben wird es nie wieder etwas Geileres geben als Heroin.“

Bloß weil man friert, ist noch lange nicht Winter. Ich halte den Blick ruhig und denke an die schüchterne Präsentation des genialen Designers Vladimir Karaleev und die wunderbaren Worte der Journalistin Ingeborg Harms: „Sie haben einen sehr schönen Pullover an.“ Später im Hotel de Rome wird ein Cocktail der Marke Chambord aus einem diamantbesetzten Fläschchen serviert, das einen Wert von über zwei Millionen Dollar hat und damit die teuerste Likörflasche der Welt ist. Ich kann mich aber null konzentrieren, denn neben mir zerbröselt man vielstimmig den Kritiker zur Chat-Gruppe. Um das Knistern eines Kaminfeuers herum bilden sie leise Stuhlkreise und besprechen Diagramme zur Ideengeschichte. Ehe ich mich versehe, bekomme ich einen Handyaufladekugelschreiber geschenkt. Das scheint mir elegant und urban, modern und gleichzeitig zeitlos.

Generell gilt: Wo es vom Bebelplatz, Hauptsitz der Fashion Week, von Halbjahr zu Halbjahr weniger Überraschendes zu berichten gibt, formieren sich an dessen Rändern die Style-Fronten: Der YSL Berlins heißt dieses Jahr Michi Michalsky mit seinen „Real Clothes for Real People“. Was dem Bruno Brunnet der Mode sein Friedrichstadtpalast, ist der jüngeren Fraktion das charmante HBC am Alex. Wer hier zweifellos berühmt ist, votiert dort im Zweifel für den Zweifel. Eigentlich ist aber klaro: Auf soziologischer Ebene machen die Veranstaltungen hier keinen Unterschied. Nur die Klamotten sind dort schwärzer, die Gespräche abgründiger, die Gesichter härter und das Parfum schwerer. Wo Michalsky die Doc Martens in seiner Kollektion mit Glitzer überzieht und die Kultband Spandau Ballett wenig später „Gold“ singen lässt, trägt im HBC mindestens jeder zweite Gast die schweren Stiefel im Original an den Füßen und man trinkt Becks Gold. Doc Martens, Jogginghosen und als musikalische Modeshowbegleitung immer wieder die britische Band XX, darauf kann man sich diesen Winter überhaupt einigen. Aber setzt das nun Maßstäbe oder kaut man modisch grade auf zähem Leder?

Am Ende gehen wir aus dem U-Bahn-Schacht einem großen dunkelblau glänzenden Himmel entgegen, aus dem Schnee auf viele Dome fällt. Wir treffen dabei mehrere Männer, die gebückt gehen. Jeder trägt auf seinem Rücken eine enorme Chimäre, so schwer wie ein Sack Mehl oder Kohle, oder die Ausrüstung eines Soldaten aus der römischen Armee. Keine Ahnung, wo die hingehen. Eine Trendforscherin erklärt mir, wenn sie Entspannung suche, ginge sie in eine Hermès-Boutique. Dort sitze als Verkäuferin immer eine strenge, ältere Frau hinter einem Schreibtisch und schaue einen vorwurfsvoll an. Das sei wahrer Luxus.