Angst vor „Silvesterfeuerwerk mit Autos“

Frankreichs Behörden hoffen auf ein nasskaltes Wochenende, damit in den Vorstädten nicht wieder Autos brennen

PARIS taz ■ Seit Tagen zirkulieren in Frankreich beängstigende Gerüchte: In der Silvesternacht würden die Krawalle in der Banlieue wieder aufflackern. Seit 1997 war es von Straßburg im Elsass ausgehend zu einer „Tradition“ geworden, in dieser letzten Nacht des Jahres Autos in Brand zu stecken. Einfach so, zum Spaß oder aus Verdruss – und oft wohl auch im Suff. Im Durchschnitt fielen so in den letzten Jahren jeweils 300 bis 350 Autos dem „Silvesterfeuerwerk“ zu Opfer. Wird es dieses Mal nach der jüngsten Gewaltserie besonders schlimm?

Der polizeiliche Nachrichtendienst spielt dieses Risiko herunter: „Wir verfügen gegenwärtig nicht über irgendwelche Anzeichen für eine Eskalation“, erklärte ein Verantwortlicher der „Renseignements généraux“ (RG), die im Auftrag des Innenministers speziell die Internetkommunikation der Vorstadtjugendlichen überwachen.

In einigen Quartieren, die im November Schauplatz der Krawalle waren, sagten Sozialarbeiter und die als kommunale Vermittler eingesetzten „großen Brüder“ ebenfalls, es gebe keine Hinweise auf besondere Vorkommnisse. Im mittlerweile europaweit bekannten Pariser Vorort Clichy-sous-Bois, wo Ende Oktober die Unruhen begonnen hatten, erklärte Samir Mihi, der im Auftrag des Bürgermeisters als „Médiateur“ die Jugendlichen betreut, diese hätten heute andere Sorgen: „Hier hatte die Gewalt einen Anlass: den Tod von Zyed und Bouna. Der 31. Dezember ist bloß ein Datum, aber kein Grund zur Revolte.“ Wie andere fürchtet er indes, dass die Medien aus aller Welt, die vor Ort die Jungen ständig fragen, was denn nun Silvester passieren werde, diese auf dumme Gedanken bringen.

Die Behörden hoffen insgeheim, dass das fürs Wochenende angekündigte kühle Regenwetter noch mehr zur Beruhigung der erhitzten Gemüter beitragen kann als ihre gesamte Prävention. In ganz Frankreich stehen sicherheitshalber doch mehr als 25.000 Polizisten und Gendarmen im Einsatz. Vor allem in den „heißen“ Vorstadtsiedlungen sind zusätzliche Einheiten stationiert. In Paris wachen nicht weniger als 4.500 Mann über den Silvesterabend.

Besonders intensiv sind die Vorkehrungen in Straßburg. Die Präfektur will aber über ihre Einsatzpläne nichts verraten und verbot auch Journalisten, Silvesternacht Beamte auf Reportage zu begleiten. In Vierteln wie Neuhof und Hautepierre sind es die Quartiervereine, die Veranstaltungen für Jugendliche organisieren und Flugblätter an Eltern verteilen, damit in der Elsässer Kapitale Silvester dieses Mal ruhiger verläuft als in den Vorjahren.

Bis Ende Februar gilt in Frankreich der Ausnahmezustand, der den Ordnungskräften zusätzliche Kompetenzen gewährt. In 14 Departements ist es vorübergehend verboten, Benzin in Kanistern oder Flaschen zu verkaufen, weil das zur Fabrikation von Molotowcocktails dienen könnte. Mehrere Polizeipräfekten haben ihnen bekannte Unruhestifter aufs Kommissariat bestellt, um sie vor „Dummheiten“ zu warnen. Im November waren 4.500 Personen wegen Gewalt und Brandstiftungen festgenommen worden. 700 wurden zu Haftstrafen verurteilt. RUDOLF BALMER