LEIPZIG – HELDENSTADT MIT WELTREKORDEN
: Strenge Fugen suchen ihre Fans

Wollte man die große Erfolgsgeschichte von ganz von Anfang an erzählen, müsste zweifelsohne begonnen werden mit: Leipzig. Hier, in der Stadt der Helden, wurde vor 105 Jahren der Deutsche Fußball-Bund gegründet. Deswegen darf getrost festgestellt werden: Ohne Leipzig gäbe es keinen DFB. Und ohne diesen weder die Helden von Bern noch Franz den Kaiser. Da der wiederum die WM überhaupt erst ins Land geholt hat, ist es nicht vermessen, zu behaupten: Ohne Leipzig gäbe es die WM in Deutschland nicht. Oder – dies muss vor allem unseren englischen Freunden gesagt werden: Der Fußball kommt endlich nach Hause.

Dabei ist die Stadt keineswegs auf dieses vollgepumpte Stück Plastik zu reduzieren. Vielmehr läuft Leipzig auch sonst über mit Kultur. Wobei sich schon fragt, ob den spanischen oder ukrainischen Fans, die beim Spiel auf Lücken in der gegnerischen Abwehrkette achten, in ihrer Freizeit wirklich die strengen Fugen Johann Sebastian Bachs suchen? Ob die Angolaner tatsächlich die leichten Sinfonien des Leipzigers Mendelssohn-Bartholdy zu goutieren wissen? Und was halten wohl die Iraner von der revolutionären Bedeutung der Nikolaikirche? Oder interessieren sich all die Freunde am Ende doch mehr für ein paar Liter Gose, wie das Leipziger Bier heißt, auf dem Drallewatsch, der Kneipenmeile?

So oder so: Für Leipzig geht es im Sommer um mehr als die Austragung von fünf WM-Spielen – nämlich um die Rehabilitation der Stadt. Die Niederlage bei der Vergabe der Olympischen Spiele kann endlich in einen Sieg umgewandelt werden, oder doch zumindest in ein Unentschieden. Die Stadt will zeigen, was die Ignoranzlinge vom IOC verpasst haben – und sie wird das tun mit einer Sportbegeisterung, die selbst im Lande Beckenbauers nicht erreicht wird. Wie das aussieht, war schon bei der Gruppenauslosung Anfang Dezember zu sehen. Gleich mit zwei Rekorden wartete die Stadt da auf: Zunächst wurde die längste Fankette der Welt gebildet, dann der längste Rote Teppich des Planeten ausgerollt. Während der WM wird es mühelos weitergehen mit solchen Superlativen, zum Beispiel an den Bier- und Würstchenbuden. Das Leipziger Stadion steht normalerweise leer, weil hier überhaupt kein Profi-Fußball gespielt wird. Eine eingespielte Gastronomie jedenfalls gibt es darin nicht. Zu erwarten sind also die längsten Warteschlangen, seit es Fußball gibt. Doch die Warterei wird sich lohnen, weil sie, so die Fifa dies zulässt, gekrönt wird mit einer Original Rostbratwurst aus dem benachbarten Thüringen. Und dies ist definitiv die beste Bratwurst von allen . FRANK KETTEREr