„Die Erde muss ein Betttuch haben“

15 Zentimeter Neuschnee erfreuen die Schlittenfans. Der Wetterdienst aber warnt vor Verwehungen und Glättegefahr. Historisch betrachtet ist der Winter nur Durchschnitt: 60 Zentimeter Schnee und 26 Grad unter Null sind die Rekorde

Wer heute aus dem Fenster sieht, sieht Weiß – falls der Deutsche Wetterdienst recht behalten hat. Prophezeit wurden bis zu 15 Zentimeter Neuschnee in der Nacht, inklusive einer Unwetterwarnung vor starken Schneeverwehungen und Glättegefahr.

Auch wenn alle Jahre wieder bei Schneefall auf den Straßen Chaos ausbricht, müssten die Berliner die weiße Pracht in aktueller Höhe locker wegstecken. Die höchste jemals gemessene Schneedecke auf den Straßen der Stadt war mit 49 Zentimetern am 6. März 1970 schließlich mehr als dreimal so hoch, sagt Meteorologe Marcus Boljahn vom Wetterdienst MC-Wetter. Er beruft sich auf Daten, die in Dahlem seit 1908 aufgezeichnet werden. Stadtchronisten haben in der Berlinischen Monatsschrift gar eine 60 Zentimeter dicke Schneedecke am 10. April anno 1837 verzeichnet. Aus gesicherten Daten kann Meteorologe Boljahn noch folgendes berichten: „Der frühste Tag im Jahr, an dem jemals Schnee fiel, war der 3. Oktober 1989. Im Kontrast dazu wurden im Jahre 1927 die Berliner noch am 13. Mai von Schnee überrascht.“ Auch über die heutigen Temperaturen von voraussichtlich minus 1 Grad Celsius sollten sich die Berliner nicht beschweren, verglichen mit der Lage am 11. Februar 1929, an dem das Thermometer bis auf minus 26 Grad sank.

Legt man die Bauernregel „Die Erde muss ein Betttuch haben, soll sie der Winterschlummer laben“ zugrunde, müssen Landwirte in Berlin vom Winter 1969/70 hellauf begeistert gewesen sein. An 114 Tagen hintereinander war die Stadt von einer geschlossenen Schneedecke überzogen, heißt es in der Berlinischen Monatsschrift. Der Durchschnitts-Berliner hatte hingegen wohl eher Sehnsucht nach dem Sommer, wie auch am 6. März 1962, als nach über 50 Stunden endlich Schluss war mit einem Dauer-Schneefall über der Stadt.

Jüngere Berliner können sich eher an den Winter 1974/75 erinnern, der mit einer durchschnittlichen Temperatur von 3,7 Grad der wärmste Winter seit der Saison 1754/55 gewesen sein soll. „Im Dezember 1975 entdeckten Kinder in Lichterfelde Maikäfer“, melden die Chronisten von der Berlinischen Monatsschrift. „Blühende Rosensträuche in Zehlendorf“ wurden am 20. Januar 1983 gesichtet, sechs Jahre später im gleichen Monat gab es „blühende Haselnusssträuche und Primeln“. Die Vegetation sei ihren natürlichen Abläufen sechs Wochen voraus gewesen.

Was das Klima für die letzten Tage des Jahres 2005 angeht, sagt Ingmar Behrendt vom Institut für Meteorologie der Freien Universität keine großen Änderungen voraus. „Kalt und schneereich“ soll es bleiben. Temperaturen über dem Gefrierpunkt gibt es voraussichtlich erst wieder ab Januar 2006.

ANNETTE LEYSSNER