Soldaten ermitteln in BND-Manier

Das getarnte Auftreten zweier Soldaten als Journalisten war kein simpler Verstoß gegen Dienstvorschriften. Die militärischen Aufklärungskräfte der Bundeswehr sind vom Bundesnachrichtendienst unterwandert, befürchtet die Opposition im Bundestag

AUS BERLIN CHRISTIAN FÜLLER

Die beiden Männer hörten vier Stunden aufmerksam zu. Sie zeigten nur kurz ihre Ausweise und hinterließen keine Visitenkarten. Aber nicht nur das machte die Bosnierin Anela Kobilica im Nachhinein stutzig. Die Herren „waren zu liebenswürdig für Journalisten, zu nett und zu still“, sagte die 30-jährige Frau.

Mit ihren Schilderungen bei „tagesschau.de“ löst Kobilica eine weitere Verhör- und Geheimdienstaffäre aus. Denn es waren nicht Medienleute, die sie über ihren nach Guantánamo verbrachten Mann Bensayah Belkacem ausforschte, sondern verdeckt arbeitende Soldaten der Bundeswehr. Das Verteidigungsministerium hat, wie berichtet, Ermittlungen aufgenommen. Die Truppe allerdings konzentriert sich darauf, die beiden Soldaten zu finden, die im Juli 2003 ohne Uniform James Bond spielten. „Die Ermittlungen sind nicht trivial“, schilderte ein Sprecher der taz, „denn Truppenkontingente im Auslandseinsatz wechseln schnell.“ Will sagen: Es werde schwer, die Missetäter ausfindig zu machen.

Die Bundeswehr stellt sich ahnungsloser als sie ist. Von Interesse sind weniger die Personen, als die Befehlsstrukturen, die zu dem getarnten Besuch bei der Frau eines Al-Qaida-Verdächtigen führten. Die Soldaten gehörten einer Abteilung der Feldnachrichtenkräfte an. Das ist eine Einheit, die mit den internationalen Einsätzen der Bundeswehr an Bedeutung gewonnen hat – und ihr neues Aufgabengebiet offenbar erst erprobt. „Dass Feldnachrichtensoldaten sich eigenmächtig an einen derart komplexen Fall ranmachen, wäre ungewöhnlich“, findet Winfried Nachtwei, verteidigungspolitischer Sprecher der Grünen. Und fordert Aufklärung.

Aufklärung, das ist auch das Geschäft der Feldnachrichtenkräfte, die 2003 bei der Ehefrau des mutmaßlichen Bombenattentäters und Islamisten Belkacem anklopften. Die Aufklärer haben, wenn sie Uniform tragen, ein Eule am Ärmel. Sie wollen Auge und Ohr der kämpfenden Truppe sein. Seit 2002 werden sie im Feldnachrichtenzentrum in Diez an der Lahn in einer speziellen Fähigkeit ausgebildet: der Gesprächsaufklärung. Sie sollen herausfinden, was die Menschen im Einsatzgebiet wissen und denken. Ihr eherner Grundsatz heißt: Niemals ohne Uniform. Was hat die Soldaten dazu gebracht, ihre wichtigste Dienstvorschrift zu verletzen?

Dass die Soldaten kreativ ermittelten, weil sie ihr Job langweilte, hält Norman Paech für wenig wahrscheinlich. Für den außenpolitischen Sprecher der Linkspartei im Bundestag ist die abgelegte Uniform eine weitere kleine Unstimmigkeit, die auf ein größeres Problem verweist. „Dahinter steckt etwas, das weit in den Bundesnachrichtendienst hineinreicht“, vermutet Paech. Wer sonst, fragt der Abgeordnete, schicke Soldaten zur Angehörigen eines in Guantánamo Internierten – und das zufällig ohne Uniform? Paech würde es nicht wundern, „wenn der BND selbst den Feldnachrichtendienst unterwandert hat“.

Was Paech äußert, ist keine Verschwörungstheorie zu, sondern ein wahrscheinliches Szenario. Die Bundeswehr selbst hat in Strategiepapieren angekündigt, den Verbund von militärischen Nachrichtensoldaten und den Geheimdienstleuten des BND zu optimieren. So steht es nicht nur in den „Eckwerten für die Weiterentwicklung der Streitkräfte“, so ist es tägliche Praxis in den Einsatzgebieten. Dort werden „Intelligence-Zellen“ gebildet, wo die Aufklärer einträchtig beisammen sitzen: Feldnachrichteneinheiten, militärischer Abschirmdienst und Bundesnachrichtendienst. Vielleicht wurde dort die Idee geboren, Anela Kobilica zu besuchen. Ganz in Zivil.