Nukleare Provokationen aus der Union

CDU-Ministerpräsidenten aus Baden-Württemberg und Niedersachsen wollen den Atomausstieg aushebeln. Sie fordern, die AKW-Laufzeiten angesichts steigender Strompreise zu verlängern – und sorgen für große Unruhe in der noch jungen Koalition

VON BERNWARD JANZING

Kaum haben Union und SPD den Atomausstieg im Koalitionsvertrag fortgeschrieben, sticheln CDU-Politiker schon wieder: Baden-Württembergs Regierungschef Günther Oettinger und sein niedersächsischer Kollege Christian Wulff haben jetzt längere Laufzeiten für Atomkraftwerke gefordert.

„Wir werden an den bisherigen Zeitplänen zur Abschaltung von modernsten Kernkraftwerken nicht festhalten können“, sagte Wulff der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung. Und Oettinger gibt Wulff „völlig Recht“. Der Baden-Württemberger sagte der Financial Times Deutschland: „Ich glaube, dass die Strompreisentwicklung in den nächsten Monaten und die Entwicklung auf dem europäischen Energiemarkt mit dem Bau weiterer Kernkraftwerke die Sozialdemokraten zum Nachdenken bewegen wird.“

Die Ministerpräsidenten eröffnen einen neuen Konflikt. Will die die SPD ihre eigene Linie nicht verraten, muss sie an der Abkehr vom Atomzeitalter festhalten: Der Ausstieg steht seit 1986 in ihrem Parteiprogramm. Bundesumweltminister Sigmar Gabriel sagte denn auch der Frankfurter Rundschau, die Skepsis gegen AKWs sei „Erbgut“ der SPD. Formal spielt Gabriel die Schlüsselrolle beim Atomausstieg. Ohne Zustimmung des Bundesumweltministers können die AKW-Laufzeiten nicht verlängert werden. So steht es im Atomgesetz.

So mancher sieht in der Atomfrage die Sollbruchstelle der Bundesregierung. „Wenn der Atomausstieg angetastet wird, steht die ganze Koalition in Frage“, sagte der Energieexperte Marco Bülow der Netzeitung. Bislang sind die Überlegungen zum Ausstieg aus dem Ausstieg aber nur Planspiele.

Oettinger argumentiert zwar, dass die Energiepreise durch billigen Atomstrom sinken können. Er gibt sich als Kämpfer für den Verbraucher – kurz bevor Baden-Württemberg im März eine neue Landesregierung wählt. Doch war der Atomausstieg bereits bei den rot-schwarzen Koalitionsverhandlungen im Oktober ein Thema. Und schon damals hatten Unterhändler die Debatte als eine „Diskussion um des Kaisers Bart“ bezeichnet.

Denn: Vier Reaktoren sollen laut Atomkonsens in dieser Wahlperiode vom Netz gehen, drei davon aber erst kurz vor der Bundestagswahl 2009. Diese können die Betreiber mit Tricks, zum Beispiel längeren Revisionszeiten, über die Legislaturperiode retten. Sie brauchen dafür keine politische Hilfe.

Es bleibt alleine Biblis A, dessen Frist im Juni 2008 abläuft. Betreiber RWE hat aber schon im Jahr 2000 im Atomkonsens zugestimmt, dass die Laufzeiten für diesen Reaktor nicht verlängert werden.

Somit ist der Vorstoß der Ministerpräsidenten vor allem Rhetorik. Oettinger sorgt sich nämlich auch davor, dass Deutschland künftig Strom importieren muss – wenn es seine AKWs stilllegt. Die Zahlen aber zeigen: Im vergangenen Jahr hat Deutschland netto 7,3 Milliarden Kilowattstunden Strom exportiert. Und das ist genauso viel, wie Biblis A im Mittel pro Jahr erzeugt.

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