Wenn die Blätter fallen

Frankreichs Zeitungen vor dem Umbruch: Die Auflagen sinken, jungen Lesern reichen Gratisblätter, und die Investoren erhöhen den Druck – Aussichten auf das, was auch der deutschen Presse blüht

AUS PARIS DOROTHEA HAHN

Die französischen Tageszeitungen haben alles Mögliche versucht: Kapital von großen Industriellen aufgenommen, Arbeitsplätze gestrichen, und drei von ihnen – Le Monde, Figaro und Humanité – haben sich kurz vor Jahresende auch noch ein neues Layout zugelegt. Wirklich geholfen hat das keinem der traditionsreichen Blätter, die sich selbst „national“ nennen, obwohl sie außerhalb von Paris kaum gelesen werden.

2005 war ein Katastrophenjahr, ein weiteres mit sinkenden Einnahmen und steigenden Schuldenlasten. Abgesehen von den beiden Gratisblättern Métro und 20 Minutes, die fröhlich boomen und deren Auflage längst jene der Traditionspresse übertrifft, haben nur zwei Pariser Zeitungen Auflage und Finanzen deutlich verbessern können. Beide sind spezialisiert – L’Equipe auf den Sport, die katholische Tageszeitung La Croix auf Religion.

Derweil kämpfen andere darum, überhaupt weiter erscheinen zu können. Das bei der Befreiung von ehemaligen Résistants gegründete Boulevardblatt France Soir, das zu seinen besten Zeiten in den 60ern täglich über eine Million Exemplare verkaufte und heute auf weit unter 50.000 Exemplare täglich geschrumpft ist, steht seit Herbst unter Zwangsverwaltung. Bis morgen können Übernahmeinteressenten Gebote abgeben. Im Januar muss die Justiz über eine mögliche Abwicklung entscheiden. Anfang dieser Woche überreichten Beschäftigte des Blattes dem Premierminister eine Petition, er möge „alle Mittel mobilisieren“, um die Zeitung zu retten.

Dramatischer als je zuvor ist die Lage auch bei der einst linksradikalen Tageszeitung Libération. Dort ist im April – nach der Zustimmung der Beschäftigten, denen schon damals das Wasser bis zum Hals stand – ein Bankier eingestiegen, der in eine andere politische Richtung tendiert als die Redaktion. Edouard de Rothschild wurde auf einen Schlag Hauptaktionär. Nach mehrmonatigen Verhandlungen hinter verschlossenen Türen legte er einen Plan vor, der die Belegschaft im November in einen beinahe einwöchigen Streik trieb: 52 Leute sollen Libération verlassen.

Um den längsten Streik der Libé-Geschichte zu beenden, verzichtete die Geschäftsführung vorerst auf Entlassungen. Doch an ihrem Plan, 52 Arbeitsplätze „abzubauen“, hält sie fest. Sie will ihn mit freiwilligen Abgängen und mit Entschädigungen umsetzen. Die Belegschaft sprach in der vergangenen Woche ihrer Führung mehrheitlich das „Misstrauen“ aus – nicht nur, weil das Personal um mehr als 15 Prozent reduziert werden soll, sondern auch, weil es keine publizistischen Pläne mehr gibt. Allein der „Ausbau des Internetangebots“ und eine bunte Wochenendbeilage sind geplant.

In der Provinz steht es nicht viel besser um die Tageszeitungen. Zwar halten die Provinzblätter ihre Auflagen. Doch nur jeder zehnte Erwachsene kauft derzeit eine Tageszeitung. Das Durchschnittsalter der ZeitungskäuferInnen liegt bei weit über 40 Jahren. Selbst Libération laufen die jungen LeserInnen scharenweise davon – zur Gratispresse und zum Internet. Beim Figaro liegt das Durchschnittsalter der Leser über 50 Jahre, La Croix lesen vor allem über 60-Jährige.

Noch dazu hat die Konzentrationstendenz bei der Tagespresse weiter zugenommen. Im Sommer 2004 kaufte der Flugzeughersteller, Rüstungsproduzent, Bürgermeister und Senator in der rechten UMP, Serge Dassault, sich in den Verlag Socpresse ein. Auf einen Schlag wurde er damit Mehrheitsaktionär bei mehr als 70 Printtiteln – und machte die Rüstungsindustrie zum größten Zeitungsunternehmer des Landes. Neben Dassault ist auch die Lagardère-Gruppe, die ebenfalls Waffen herstellt, im Print-Geschäft tätig. In diesem Jahr stieg sie mit 25 Millionen Euro bei Le Monde ein, bei der zuletzt 200 Mitarbeiter entlassen wurden.

Dassault ist der Meinung: „Eine Zeitung ist gut, wenn sie sich verkauft.“ Womöglich ist das ein Ausblick auf das, was auch der deutschen Presse bald blühen wird. Investor David Montgomery, der gerade den Berliner Verlag übernommen hat, probt derzeit dort schon mal das große Sparen. In Frankreich wiederum verkaufte Dassault dieses Jahr mehrere Verlust machende Provinzblätter – ausgerechnet an die größte französische Regionalzeitung Ouest France, deren Monopol im Westen des Landes damit beinahe absolut geworden ist. Trotzdem genehmigte der Finanzminister den Deal.

Hinzu kommt, dass die französische Presse im Frühsommer die Stimmung im Land vor der Abstimmung zur EU-Verfassung völlig falsch einschätzte. Die Mehrheit unterstützte das „Ja“ zur Verfassung. Nachdem sich 56 Prozent der Franzosen für ein „Nein“ ausgesprochen hatte, beschimpften manche Journalisten– darunter auch der Chefredakteur von Libération – die Leser. Seither hat auch die Glaubwürdigkeit der französischen Medien deutlich gelitten Nicht gerade ein guter Ausgangspunkt, um neue Leser zu gewinnen.