„So wird Folter salonfähig“

Zur Abwendung akuter Gefahren können auch erfolterte Aussagen verwendet werden, meint der renommierte Strafverteidiger Michael Rosenthal. Doch schon die Debatte darum entzaubert die Menschenwürde

taz: Herr Rosenthal, deutsche Sicherheitsbehörden haben Islamisten in ausländischen Gefängnissen befragt, wo diese zuvor möglicherweise gefoltert wurden. Sind solche Befragungen zulässig?

Michael Rosenthal: Sie sind nicht automatisch unzulässig, denn es ist ja keine unmittelbare Foltersituation. Ein erfahrener Ermittler merkt, ob ein Häftling frei sprechen kann oder Angst vor Misshandlungen hat.

Halten Sie auch die Aussagen für gerichtsverwertbar, die Mohammed Zammar in Syrien gegenüber dem BKA gemacht hat?

Mit den Einzelheiten bin ich nicht vertraut, aber ich halte diese Aussagen nicht von vornherein für unbrauchbar. In einer direkten Befragung kann jedenfalls leichter festgestellt werden, ob jemand unter dem Einfluss von Folter steht, als wenn nur Verhörprotokolle ausländischer Stellen zur Verfügung stehen.

Im Prinzip halten Sie aber selbst solche Verhörprotokolle für gerichtstauglich?

Sie sind nicht von vornherein untauglich. Aus Wortprotokollen kann man manchmal auf den Gang der Befragung schließen. Bei bloßen Zusammenfassungen von Verhören ist dies aber nicht möglich, denn am Inhalt kann man eine erfolterte Aussage nicht erkennen.

Was soll ein Gericht machen, wenn es nicht weiß, ob Informationen erfoltert wurden?

Dann müssen deutsche Stellen bei den ausländischen Diensten nachfragen, wie die Aussagen zustande kamen. Dies hat das englische House of Lords jüngst überzeugend dargelegt.

Und wenn der ausländische Dienst solche frechen Fragen nicht beantworten will?

Da gibt es eine Mitwirkungspflicht. Wird sie nicht erfüllt, können die Informationen vor Gericht nicht benutzt werden.

Aber wenn zum Beispiel der syrische Geheimdienst versichert, er foltere nie, müssen das deutsche Gerichte glauben?

So einen Blödsinn braucht kein Mensch zu glauben.

Wäre es nicht besser, zweifelhafte Informationen vor Gericht nie zu verwerten?

Hundertprozentige Sicherheit wird es nie geben und kann deshalb auch nicht verlangt werden.

Innenminister Wolfgang Schäuble will Informationen, bei denen das rechtsstaatliche Zustandekommen nicht sicher ist, vor allem zur Abwehr von Gefahren einsetzen. Gelten hier andere Maßstäbe als bei der Strafverfolgung?

Nein. Bei einer akuten Gefahr fällt es aber leichter, die Information zu verwerten.

Mit akuter Gefahr meinen Sie die tickende Bombe?

Ja. Immer wenn eine Gefahr unmittelbar bevorsteht, können auch rechtsstaatlich zweifelhafte Informationen verwendet werden. Die tickende Bombe darf auch dann entschärft werden, wenn der Hinweis möglicherweise erfoltert wurde. Zur Klarstellung: Wir reden hier ja nicht darüber, ob man foltern darf, um herauszukriegen, wo die Bombe versteckt ist.

Wird so das absolute Folterverbot nicht dennoch relativiert?

Doch. Jede positive Bezugnahme auf erfolterte Aussagen macht Folter ein Stück weit salonfähiger. Das ist eine ganz gefährliche Entwicklung. Die Menschenwürde wird Stück um Stück entzaubert.

Warum sagen Sie dann nicht einfach: Informationen von ausländischen Diensten können nur verwendet werden, wenn sicher ist, dass sie nicht auf Folter beruhen?

Das wäre zwar sehr klar und moralisch unangreifbar, aber auch töricht. Wir sprechen ja nicht davon, dass deutsche Beamte foltern sollen oder foltern lassen dürfen, sondern dass der Mist bereits passiert ist und jetzt noch etwas Schlimmes verhindert werden kann.

Das ist schwer zu verstehen: Einerseits sollen deutsche Beamte nicht foltern und Folter auch nicht billigen. Zur Abwehr unmittelbarer Gefahren sollen sie dann aber doch erfolterte Informationen benutzen dürfen, obwohl auch dadurch das Foltertabu durchbrochen wird. Macht das Sinn?

Es ist ziemlich verquast und anfällig für Missbrauch. Wir sind hier nun mal in einem moralischen Dilemma, aus dem es keinen sauberen Ausweg gibt. Wahrscheinlich ist schon die ganze Debatte verkehrt. Wenn man anfängt, ständig das Pro und Contra zu diskutieren, hat man Folter schon ein Stück weit als Alltag akzeptiert. Die entscheidende und unverzichtbare Grundposition lautet doch, dass Zivilisation und Folter einander ausschließen.

Wäre dem absoluten Folterverbot nach Ihrer Ansicht besser gedient, wenn die Zusammenarbeit mit Geheimdiensten gar nicht thematisiert würde.

Ich will natürlich nicht das Recht auf eine öffentliche Debatte in Frage stellen, aber im Ergebnis wäre es wohl besser, diese Diskussion gäbe es nicht. Überspitzt gesagt, reden die Foltergegner derzeit den Tabubruch herbei, den sie dann bekämpfen müssen. INTERVIEW: CHRISTIAN RATH