Meisterwerke treffen sich zum Hundertsten

Camille entschwebt zur Güldenkammer im Rathaus, diesem „lebhaft vergoldeten und bestickten Königsmantel“

Bremen taz ■ 100 Jahre alt werden sie in diesem Jahr beide, zumindest aus Bremer Sicht – und keine hat auch nur einen Deut an Attraktivität eingebüßt. Es war 1905, als die Kunsthalle beschloss, das bedeutende Monet-Portrait „Camille“ anzukaufen. Im selben Jahr gestaltete der Maler und Grafiker Heinrich Vogeler die Güldenkammer in der Oberen Halle des Rathauses neu. Gestern nun trafen zwei Meisterwerke erstmals aufeinander.

Die Camille, quasi dem Bild entschwebt, überbringt als Abgesandte der Kunsthalle dem Jugendstil-Kleinod Glückwünsche, und Bürgermeister Jens Böhrnsen strahlt mit der gecasteten Monet-Inkarnation kamerawirksam um die Wette. „Ja“, sagt er dann, es sei ein Privileg hier zu arbeiten. „Auch wenn wir normalerweise nur über die Kordel gucken dürfen.“ Ausschließlich hochstehenden Gästen, zuletzt der lettischen Staatspräsidentin Vaira Vike-Freiberga, ist es eigentlich vergönnt, die einzigartige Güldenkammer zu betreten, diese „schmuckvolle Innenseite eines lebhaft vergoldeten und bestickten Königsmantels“. Das sagte übrigens nicht Böhrnsen, sondern, ganz unbescheiden, Künstler Vogeler selbst.

Er konnte es sich leisten, denn sein Einfallsreichtum schien unerschöpflich. Parkett, Decke und die Hälfte der Wände sind mit wertvollen Intarsienarbeiten geschmückt, die darüber liegende rotgoldene Tapete reicht bis zur Decke – und ist aus Leder. Prachtvoll ist das alles bis ins Detail ornamental ausgestaltet, überall tummeln sich filigrane Rosen und Vögel. Über der Tür zwei goldene Löwen, die Kamingitter in gleicher Güte. Selbst Kaminbesteck, Pokale und Schalen sind in die Gestaltung einbezogen. Seit 1989, als alle Holzwerke neu mit Schellack überzogen wurden, spiegelt sich der Raum wieder in den Vertäfelungen, verleiht der Kammer eine wahrlich feierliche Ausstrahlung.

Als „Glücksfall“ bezeichnet Böhrnsen den Künstler Vogeler für den im 16. Jahrhundert errichteten Repräsentationsraum. Und auch hier wieder die Verbindung zu Camille. „Vor allem auf Betreiben des damaligen Kunsthallendirektors Gustav Pauli wurde dem avantgardistischen Vogeler der Auftrag gegeben“, sagt Birgitt Rambalski, Protokollchefin im Rathaus. Der hat selbst das Mobiliar entworfen: Ein langer Tisch, zwei Bürgermeistersessel und zwölf Senatorenstühle. Zwölf. Für Böhrnsen ein Hinweis darauf, „dass der Senat früher größer war“. Auch die polierten Holzflächen, die vergoldeten Stuhllehnen sind deutliche Erinnerung an frühe, an bessere Bremer Zeiten. Achim Graf