WAHRE SCHREIBTISCHE. HEUTE: MICHAEL RUDOLF – ODER MIT ZUGEKLEBTEM BRÜLLMUND HEISSE GITARRENGROOVES PER TELEFON

Jeder Koch hat seine Mise en place, seine eigene Art, in der Küche den persönlichen Arbeitsplatz einzurichten mit Gewürzen und Kochgeräten und allerlei Dingen, die zum Gelingen eines Gerichts notwendig sind. Auch Autoren und Schriftsteller inszenieren ihre Schreibtische nach sehr eigenen Vorstellungen. Die Wahrheit hat sich an den Arbeitsplätzen ihrer Köche umgesehen.

Ist dies die moderne Version der Dachstube von Spitzwegs „Der arme Poet“? Mitnichten, auf den ersten Blick hat es Michael Rudolf in seinem Arbeitsdachstübchen schön warm. Dafür sorgen schon Zentralheizung und Nut-und-Feder-Bretter (1) aus dem Baumarkt. Doch Vorsicht: Das Zeug brennt wie Zunder! Ursache für die Verbannung ins Dachgeschoss ist die sorgsam aufgerüstete elektrische Billiggitarre (2), mit der er in schweren Stunden Zerstreuung und innere Sammlung sucht. Die Odd-Time-Grooves werden dann schon mal seinem Kumpel Jürgen Roth (3) telefonisch übermittelt. Und wenn ihn seine Verleger wieder auf die Palme gebracht haben und er unbeherrscht herumschreit, dann eilen Frau, Kind und Katze herzu und verschließen ihm den Brüllmund mit linderndem Klebeband (4). Dann gelingt es nur noch mittels der ins Telefon integrierten Faxfunktion (5), Kontakt mit notorischen Internetverweigerern wie Horst Tomayer oder Eugen Egner aufzunehmen.

Während Michael Rudolf noch darüber brütet, ob er mit dem gut versteckten Fleischermesser (6) seinen Verlegern innere Blutungen, mindestens aber Warnwunden an lebenswichtigen Organen zufügt, hat er die Tintenpatrone (7) bereits mit selbst gezapftem Herzblut gefüllt, die allein für E-Mails an seine besten Freunde und seine Lieblingsredakteurin bestimmt ist. Allein der Flachbildschirm (8) verweigert derweil den Dienst und zieht es vor, Kometen wiederzugeben.

Weitere Fotomotive (9) und viel Zettelwerk (10) vermitteln dem Besucher einen atemberaubenden Eindruck von Rudolfs Existenz und erinnern ihn selbst an eine bewegte Gegenwart. Von den Zetteln ist nur einer wichtig: der, der ihm die zu schreibenden Bücher der nächsten Monate, ja Jahre vorgibt.

Der Trittin-Bunker (11) mit der fulminanten Mehr- und Einwegflaschensammlung stört den gelernten Brauingenieur und Autor vieler Werke über die Kultur des Biermachens und Biertrinkens keineswegs, schließlich hat sich „Der Pilsener Urknall“ genau hier angebahnt. Daran gemahnt auch der Wahrheit-Ausriss (12) vom 15. September 1998, in dem die seinerzeitigen Redakteurinnen Barbara Häusler und Carola Rönneburg dem Autor Feldbett und Begrüßungsbier anboten, weil ihm einige Bild-Reporter auf den Fersen waren. DIETER GRÖNLING