Nützlich, doch unerlaubt

Der Rechtsstaat darf von der Folter anderer nicht profitieren – auch wenn dies Politiker in schwere Konflikte stürzen kann

VON BETTINA GAUS

Darf ein Rechtsstaat davon profitieren, wenn Verdächtige gefoltert werden? In den letzten Tagen konnte man den Eindruck gewinnen, führende Vertreter der Regierungsparteien fänden allein die Frage absurd. SPD-Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der CDU-Politiker Ruprecht Polenz, sein Parteifreund Eckart von Klaeden und der sozialdemokratische Abgeordnete Olaf Scholz verteidigten – neben anderen – die Vernehmung von Gefangenen in Syrien und in dem US-Sondergefängnis Guantánamo durch deutsche Sicherheitsbehörden.

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble bekräftigte am Wochenende in mehreren Interviews seine Ansicht, es sei „völlig unverantwortlich“, Informationen nicht zu verwerten, bei denen man nicht sicher sei, „ob sie unter rechtsstaatlichen Bedingungen gewonnen wurden“. Den entsprechenden Handlungsspielraum deutscher Geheimdienste will er nicht einschränken. Mehr noch: Im Zweifel solle für die Zusammenarbeit mit anderen Nachrichtendiensten entschieden werden. Was Folter betreffe, müsse allerdings „die rote Linie“ eingehalten werden.

Was meint Schäuble? Dass die deutsche Bundesregierung und die sie tragenden Parteien gegen Folter sind – es sei denn, sie erwiese sich als nützlich? Wenigstens einige Stimmen sind jetzt zu hören, die Dissonanzen in den einstimmigen Chor des Regierungslagers bringen. „Im Kampf gegen den Terrorismus dürfen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit nicht verlassen werden“, erklärte der saarländische Ministerpräsident Peter Müller (CDU) im Spiegel. Aussagen, die unter Folter zustande gekommen seien, dürften nicht verwertet werden. Ralf Stegner, der sozialdemokratische Innenminister von Schleswig-Holstein, meint: „Gerade beim Thema Folter kann es keine Grauzone geben.“

Da irrt der Minister. Diese Grauzone gibt es vermutlich seit Jahren. Die Annahme wäre weltfremd, dass im Rahmen der Zusammenarbeit deutscher Sicherheitsbehörden mit ausländischen Geheimdiensten in der Vergangenheit stets nur Informationen verwertet werden, die auf rechtsstaatliche Weise gewonnen wurden. Bei der Debatte geht es nicht um die Frage, ob im Rahmen der Terror- und Verbrechensbekämpfung gelegentlich Gesetzesverstöße und Menschenrechtsverletzungen zu beklagen sind. Sondern um die Frage, wie eine Gesellschaft darauf reagiert.

Übrigens nicht nur im Ausland, sondern auch im Inland. Im Oktober 2002 hatte Wolfgang Daschner, seinerzeit stellvertretender Polizeipräsident von Frankfurt, dem Entführer des elfjährigen Jakob von Metzler mit Gewaltanwendung drohen lassen, um das Versteck des Kindes in Erfahrung zu bringen. Er wusste nicht, dass der Junge zu diesem Zeitpunkt bereits tot war. Von einem Gericht wurde Daschner später wegen Anstiftung zur Nötigung zu einer Geldstrafe auf Bewährung verurteilt. In Umfragen vertraten damals mehr als 60 Prozent der Bevölkerung die Ansicht, die Androhung von Folter solle nicht bestraft werden, wenn damit das Leben eines Kindes gerettet werden könne.

Sobald Nützlichkeitserwägungen in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen, wird es schwierig, auf einer Ächtung von Menschenrechtsverletzungen zu beharren. Geständnisse, die durch Folter erpresst worden sind, mögen zwar vor Gericht nicht als Beweismittel taugen. Aber sie können dennoch für die operative Gefahrenabwehr hilfreich sein. Das Folterverbot speist sich nämlich nicht aus erwiesener Sinnlosigkeit. Sondern aus den Grundsätzen des Humanismus.

Menschlich ist das Verhalten von Daschner verständlich. Es ist auch nachvollziehbar, wenn ein Minister es als grauenvollen Konflikt empfindet, sich zwischen der möglichen Rettung zahlreicher Unschuldiger und der – zumindest stillschweigenden – Billigung von Folter entscheiden zu müssen. Aber ein Rechtssystem ist kein Beichtstuhl. Also nicht das geeignete Instrument, um Gewissenskonflikte zu lösen, eine Absolution zu erteilen und in jeder nur vorstellbaren Grenzsituation eine moralisch unanfechtbare Entscheidungsgrundlage zu liefern.

Die Justiz kann stets nur die Regel definieren, nicht die Ausnahme. Es mag eine Situation geben, in der Politiker, Geheimdienstler, Polizisten oder Soldaten keine andere Möglichkeit sehen, als gegen geltendes Recht zu verstoßen. Aber dann müssen sie auch mit den möglichen Konsequenzen leben. Rücktritt, Karriereknick, Degradierung, Verurteilung. Es ist ein Unterschied, ob ein Geheimdienstler, der Nutzen aus Menschenrechtsverletzungen zieht, auf Beförderung hoffen darf oder ob er fürchten muss, vor Gericht gestellt zu werden.

Das Folterverbot sei ein absolutes Verbot, betont Manfred Nowak. „Es beinhaltet nicht nur, dass ich selbst nicht foltern darf“, erklärt der UN-Sonderberichterstatter über Folter. Wenn Verdächtige in Ländern wie Syrien befragt würden, die für systematische Folter bekannt seien, komme man in eine gefährliche Zone: „Dann könnte der Verdacht aufkommen, dass hier wissentlich Folterung Vorschub geleistet wurde, selbst wenn die deutschen Beamten nicht selbst an Folterungen beteiligt waren.“

Es gibt graduelle Unterschiede der Billigung von Menschenrechtsverletzungen. Wer Informationen verwertet, handelt – zumindest – gegen den Geist des Grundgesetzes und internationaler Abkommen. Wer Gefangene persönlich dort verhört, wo sie vermutlich vorher misshandelt worden sind, macht sich zum Komplizen der Folterknechte. Wer die Beachtung der Menschenrechte in Guantánamo einfordert, aber zugleich von deren Verletzung profitiert, ist unglaubwürdig.

Innenminister Schäuble hat im Zusammenhang mit der Befragung des deutsch-syrischen Staatsbürgers Mohammed Zammar durch Beamte des Bundeskriminalamtes in einem syrischen Gefängnis erklärt, es habe „in den Akten“ keine Hinweise gegeben, dass der Gefangene in Syrien gefoltert worden sei. Das ist ein erstaunliches Argument. Abgesehen von den Nationalsozialisten hat es nur sehr wenige Terrorregime gegeben, die Protokoll über ihre Menschenrechtsverletzungen geführt haben.