Das Ende der Bescheidenheit

Es war eine schöne Zusammenfassung des „Wer sind die neuen Franz Ferdinand?“-Musikjahres 2005, als Sarah Kuttner am Samstag im Rahmen ihrer „Kuttner on Ice“-Serie in der Columbiahalle Art Brut, The Coral und Maximo Park präsentierte. Nur vom Crowdcrawling verstand das Publikum nichts

VON CHRISTIANE RÖSINGER

Manchmal muss man sich doch sehr wundern. Am Samstagabend über Sarah Kuttner zum Beispiel: Da flogen während ihres „Kuttner on Ice“-Konzertabends leere Becher auf die Bühne, und nachdem sie sich erst beschwert hatte, fragte Kuttner das Publikum schließlich, was das denn jetzt zu bedeuten habe, ob das ein Zeichen der Zustimmung sei, oder was? Wie können solche Grundgesetze der Konzertunterhaltung einem großstädtischen Musikfan, ja einer Viva/MTV-Moderatorin unbekannt sein?

Es war die zweite „Kuttner On Ice“-Veranstaltung und Sarah Kuttner wirkte weniger aufgeregt, etwas professioneller, aber auch ein klein wenig glanzloser als bei dem ersten „Kuttner on Ice“ im März dieses Jahres. Damals hatte sie sich vor lauter Freude fast überschlagen, aus Freude über ihre Show, über die Anwesenheit ihrer Lieblinge Moneybrother, Mando Diao und Adam Green, über die Freude der anderen. „Kuttner on Ice“ Teil II fasste am Ende des Jahres das Retro-Rock- und Neo-New-Wave-Jahr 2005 zusammen, ein Jahr, das sich schön mit der Frage „Wer sind die neuen Franz Ferdinand?“ zusammenfassen lässt.

Das junge Publikum war dieser Fragestellung keineswegs überdrüssig, es war zahlreich erschienen und in exzellenter Stimmung. So wurden nebenbei auch die Frisuren-, Streetwear-und Turnschuhtrends 2005 noch einmal vorgeführt. Bei den Frauen dominiert der sehr kurze Zicken-Pony, der modebewusste Indieboy hingegen stylt sich immer mehr zum Streber-Deppen.

Dann kamen The Coral auf die Bühne, sehr junge Jungs aus dem westenglischen Küstenstädtchen Hoylake. Der blonde Sänger schlug das Tambourin, der Keyboarder ließ geschmackvolle Sounds erklingen und der Gitarrist bearbeitete seine E-Gitarre mit dem Geigenbogen so, dass velvetundergroundartiges Knarzen und Quietschen erklang. Dazu sang man schön und zweistimmig. Alles in allem die angenehme Musik einer noch sympathisch bescheidenen Band.

Mit der Bescheidenheit hatte es ein Ende, als Art Brut mit Sänger Eddie Argos auf die Bühne kamen. Art Brut galten im fast vergangenen Jahr auch mal als das neue Ding und wurden für Kunsthochschulstudenten aus London gehalten, obwohl Eddie Argos schwört, ein solches Etablissement nie von innen gesehen zu haben. Der Bandname geht jedenfalls auf den Maler und Theoretiker Jean Dubuffet zurück, der die Schule einer rohen, unverfälschten Kunst begründete. In dem programmatischen Song „Formed a Band“ kündigten Art Brut auf ihrem Debütalbum „Bang Bang Rock and Roll“ an, sie würden universelle Songs wie „Happy Birthday“ schreiben, aber auch Songs, die die Welt verändern und sogar Israel und Palästina versöhnen könnten.

Das zornige Mitteilungsbedürfnis des Sängers erinnerte dabei an den jungen Mark E. Smith, mit seiner hysterischen, kraftvoll-atemlosen Stimme schwadronierte, dozierte, schimpfte und log er, dass es eine Freude war. Eine Show voll unterhaltsamer Angeberei, eine Band mit einer seltenen Fähigkeit zur Selbstironie, vom Sänger bis zum entfesselten Stehschlagzeuger. „Populare Culture doesn’t apply to me“, herrschte Argos die Masse an, um kurz danach etwa 70-mal „Art Brut – Top of the Pops“ zu skandieren und in einem Anfall freundlicher Kollegialität auch alle anderen Bands des Abends verbal in die Top of the Pops zu befördern. Zu guter Letzt entledigte er sich noch seiner Schuhe, und – nein! – in Socken machte er keine gute Figur.

Nach diesem theatralischen Höhepunkt wirkten dann die Neo-New-Waver von Maximo Park recht affig. Wie nervöse Rennpferde vor dem Start zuckten sie in ihren schmalen Anzügen an den Instrumenten, Sänger Paul Smith ergab sich als New-Wave-Dandy in selbstherrlichen Posen und verteilte kantige Karateschläge in die Luft. Dem Publikum gefiel’s, man sprang, was das Zeug hielt, und formte mit den Körpern hübsche Wellenbewegungen und Ornamente in die Zuschauermasse. Nur die Crowdcrawler hatten nicht die nötige Körperspannung, ließen sich behäbig und plump auf der Masse nieder und scheiterten wenig elegant schon auf halbem Wege.