Friede den Parzellen

In den Internationalen Gärten in Göttingen wird nicht nur gesät und geerntet, sondern auch geklönt und gelernt. Ein mehrfach prämiertes Multikulti-Projekt, dass derzeit bundesweit Schule macht

„Streiten ist bei uns tabu, wir sind eine Weltfamilie im Kleinen“

von Reimar Paul

Das Grundstück im Göttinger Westen, nicht weit von „Kaufpark“ und Autobahnzubringer entfernt, sieht im Winter ziemlich trostlos aus. Der Wind fegt über die verwaisten Beete und rüttelt am Schuppen, Wasser steht in lehmigen Pfützen. Auf das Holzschild am Eingang haben Kinder einen Schmetterling, Blumen und das Wort „Friedensgarten“ gemalt. Zehn oder zwölf Wochen noch, bis hier wieder Leben einzieht. Bis auf den Parzellen wieder Petersilie, Auberginen, Zwiebeln und Salat sprießen, Koriander und Nana, ein Gewürz, das wie Minze riecht.

Den Friedensgarten gibt es seit 2004, er ist der jüngste Spross in der Familie der Internationalen Gärten in Göttingen. Der erste Garten entstand schon vor fast zehn Jahren. Bosnische Frauen, denen Basteln und Teetrinken zu langweilig wurde, wollten damals ihren Alltag wieder selbst in die Hand nehmen. „Zu Hause hatten wir immer unsere Gärten“, sagten sie.

Die Bosnierinnen ließen sich bei einem Kleingartenverein auf die Warteliste setzen, um nach Monaten zu hören, dass Gruppen laut Satzung gar keine Gärten pachten dürfen. Schließlich stellten die Stadt Göttingen und eine Kirchengemeinde den Flüchtlingen ein Stück Brachland zur Verfügung.

Inzwischen bewirtschaften rund 300 Leute aus 16 Nationen und unterschiedlichen Religionen Parzellen in einem der vier Internationalen Gärten in oder bei Göttingen – Kurden aus der Türkei und dem Irak, Libanesen und Eritreer, Marokkaner und Iraner. Sie entscheiden selbst, was sie anbauen. Ökologisches Wirtschaften ist für alle verbindlich, Pestizide und mineralische Dünger sind verpönt.

In den Gärten wird aber nicht nur gesät und geerntet, sondern auch geklönt, gefeiert und gelernt. Flüchtlinge bieten anderen Flüchtlingen Sprachkurse und Landeskunde-Seminare an, man macht sich über landestypische Gewächse klug. Der Austausch baue Vorurteile ab, die Ausländer auch untereinander haben, sagt Tassew Shimeles, Leiter des Gartenprojekts und Geschäftsführer des Trägervereins. „Streiten ist bei uns tabu, wir sind eine Weltfamilie im Kleinen.“

Regelmäßig helfen die Teilnehmer internationaler Jugendcamps beim Buddeln und Bauen, im vergangenen Sommer errichteten sie im Friedensgarten einen Geräteschuppen, einen Holzpavillon und einen Sandkasten. Zu den Festen und Grillabenden kommen immer häufiger auch deutsche Nachbarn. Wie gut der Friedensgarten genau an seinen Standort passt, erzählte Shimeles erst kürzlich einem Rentner, der jeden Tag auf seinem Spaziergang vorbeikommt: Wo jetzt Matsch und abgerissene Blätter die Kräuter und Blumen bedecken, riss am Ende des Zweiten Weltkrieges eine Bombe einen riesigen Krater.

Längst hat das Göttinger Projekt bundesweit Beachtung gefunden. Und viele Nachahmer: Rund 40 Internationale Gärten gibt es inzwischen in Deutschland, weitere 40 sind im Aufbau, darunter auch ein „Internationaler Frauengarten“ in Offenbach. Auch etliche Auszeichnungen erhielt das Projekt bereits, zuletzt den Niedersächsischen Umweltpreis und den Göttinger Friedenspreis. „Durch diese Preise wird unser Konzept gewürdigt“, sagt Shimeles nicht ohne Stolz. Noch wichtiger wäre aus seiner Sicht eine verstärkte finanzielle Förderung: Die derzeitigen Zuschüsse reichen für eine Halbtagskraft und einen Büroraum aus.

Infos: www.internationale-gaerten.de.