„Morales hat uns verraten“

Er sei ihnen beim Streik in den Rücken gefallen und fordere keine vollständige Nationalisierung der Erdgasindustrie mehr, sagt der politische Aktivist Abel Mamani

taz: Herr Mamani, warum kandidieren Sie nicht für die Movimento Al Socialismo?

Abel Mamani: Das müssen Sie Evo Morales fragen.

Unterstützen Sie ihn?

Nein, wir sind unabhängig, denn er hat uns mehrmals verraten. Im Mai haben wir in El Alto den Streik angefangen, dann sind andere Gruppen dazugestoßen. Wir haben 23 Tage lang durchgehalten, und er bläst den Streik ab, ohne das mit uns abzusprechen, das hat die Leute verwirrt. Trotzdem wollten wir uns mit der MAS für die Wahlen verbünden, denn es gab nichts anderes. Wieder hat sich Evo Morales nicht an die Absprachen gehalten. Sie verkünden, dass wir sie unterstützen, dann profitieren sie davon, und schließlich weigern sie sich, Abkommen mit uns zu schließen. Evo Morales hat Angst, dass ich ihm Konkurrenz mache, das ist die einzig mögliche Erklärung.

Nehmen wir an, er wird im kommenden Januar Präsident. Wäre das ein Fortschritt für die sozialen Bewegungen in Bolivien?

Schön wäre es. Außer den Kokabauern steht ja keine einzige Bewegung bedingungslos hinter der MAS. Hoffentlich läuft es gut für sie. Auch hier in El Alto werden viele mangels Alternative für sie stimmen. Aber Evo Morales hat einen schweren Fehler begangen. Hier hatten die Bezirke schon beschlossen, die neoliberalen Parteien zu boykottieren, aber damit ist es jetzt vorbei. Man kann Leuten nicht vertrauen, die dich bereits verraten, bevor ein Prozess überhaupt begonnen hat.

Was trennt Sie inhaltlich?

In der Erdgasfrage will die MAS eine halbe Nationalisierung, wir wollen die ganze. Beim Wasser fallen sie uns in den Rücken und sind bereit, in El Alto und La Paz eine Betreibergesellschaft unter Beteiligung von Multis zu tolerieren.

Wie geht es weiter?

Ich bin nicht damit einverstanden, dass man den Leuten etwas vormacht. Deswegen bin ich misstrauisch. Ich fürchte, viele Menschen machen sich Illusionen. Sie denken, dass Evo ein Wundermittel gegen das Elend hat. Für sie ist er wie ein Familienmitglied. Sie werden mehr von ihm viel mehr verlangen als von anderen Politikern, und wenn er es ihnen nicht gibt, werden sie explodieren.

INTERVIEW: GERHARD DILGER