Klarheit vor Einheit

Die Bundesregierung kann Menschenrechte und Folterverbot nur verteidigen, wenn sie die Praktiken der CIA ablehnt und den offenen Konflikt mit der US-Regierung riskiert

Das Problem ist ja: Die US-Regierung hat die transatlantische Wertegemeinschaft aufgekündigt

Theoretisch scheint alles in Ordnung: Selbstverständlich lehnt die Bundesregierung jedwede Verletzung des Folterverbotes strikt ab, auch in der Auseinandersetzung mit dem islamistischen Terror. Nur: Ebenso inbrünstig warnt sie, im Interesse der Sicherheit Deutschlands, die gute Zusammenarbeit mit den befreundeten Nachrichtendiensten nicht durch überzogene öffentliche Kritik zu gefährden. Überdeutlich ist dabei, dass mit den befreundeten Nachrichtendiensten auch und gerade die gleiche CIA gemeint ist, deren menschenrechtswidrige Praktiken im Umgang mit terrorismusverdächtigen Gefangenen in Europa derzeit in aller Munde sind.

Inzwischen wissen wir: Ein Innenminister in Berlin hielt es für opportun, dem Botschafter der USA auf dessen Information über die Verschleppung eines Bürgers der Bundesrepublik durch US-amerikanische Geheimdienstler hin Vertraulichkeit zuzusichern. Dabei hätte er unverzüglich die zuständigen Strafverfolgungsbehörden einschalten und seinem Kollegen im Auswärtigen Amt empfehlen müssen, den US-Botschafter einzubestellen, um die Missbilligung einer solchen Aktion seitens der Bundesregierung zum Ausdruck zu bringen.

Seit kurzem wissen wir auch, dass Vertreter deutscher Sicherheitsbehörden nicht davor zurückgeschreckt sind, sich auf den Weg nach Guantánamo und in syrische Kerker zu begeben. Sie haben dort Gefangene befragt, die seit langem unter Umständen festgehalten werden, die jeglicher Rechtsstaatlichkeit Hohn sprechen. Kann es wirklich sein, dass sich ein solch unerhörter Vorgang hinter dem Rücken derjenigen abgespielt hat, die für die beteiligten Sicherheitsbehörden politisch verantwortlich waren – seien es Bundeskriminalamt oder Bundesnachrichtendienst, das Innenministerium oder das Kanzleramt? Und welche Konsequenzen stehen im Bereich der beteiligten Sicherheitsbehörden an, wenn eigenmächtig gehandelt wurde?

Wie auch immer: Mit den Gefangenenbefragungen in Guantánamo und Syrien haben sich – ob sie das wollten oder nicht – das Bundeskriminalamt und der Bundesnachrichtendienst zu Komplizen von Praktiken gemacht, die mit den Menschenrechten nicht vereinbar sind. Das ist bitter genug.

Mit der notwendigen Klarheit und Eindeutigkeit im Umgang mit den Menschenrechten scheint in diesem Zusammenhang schon die alte rot-grüne Bundesregierung gelegentlich ihre Schwierigkeiten gehabt zu haben. Wenn die alte und neue Bundesjustizministerin jetzt kundtut, es habe im Jahre 2002 einen veritablen Deal mit Syrien gegeben, offenbar um den syrischen Geheimdienst zum befreundeten Nachrichtendienst zu befördern – dann kann nicht so recht politische Freude aufkommen.

Und wenn der neue grüne Außenpolitiker Jürgen Trittin zur Befragung des in Syrien gefangen gehaltenen Zammar jetzt von einem „Zielkonflikt“ spricht und darauf verweist, dass der Betroffene ja ohnedies in Syrien habe einsitzen und bleiben müssen, scheint es mit der alten grünen Einsicht zu hapern, dass die Zusammenarbeit der Bundesrepublik mit den Geheimdiensten oder Gefängnisbehörden von Folterstaaten kein gelungener Beitrag zur Verbesserung der Sicherheit der Republik sein kann.

Die dringlichen Warnungen vor einer Gefährdung der guten Zusammenarbeit mit „befreundeten“ Nachrichtendiensten wie der CIA zeigt das ganze ungelöste politische Dilemma der Bundesregierung: hier der Wunsch, in Abgrenzung zum islamistischen Terror auch und gerade bei dessen Bekämpfung glaubwürdig auf der Seite der Menschenrechte und des Folterverbotes zu stehen – dort die Angst davor, der Zusammenarbeit mit der CIA klipp und klar die von den Menschenrechten gegebenen Grenzen zu ziehen und dadurch die politischen Beziehungen zur US-Regierung zu trüben.

Doch: Eine glaubwürdige Politik der Bundesregierung in der Frage der Menschenrechte und des Folterverbotes ist nur um den Preis des erklärten politischen Bruches mit den bisherigen menschenrechtswidrigen Praktiken der CIA und damit eines offenen Konflikts mit George W. Bush selbst zu haben.

In diesen Tagen haben Senat und Abgeordnetenhaus der USA einen Gesetzesentwurf verabschiedet, den der Senator John McCain, einst selbst ein Folteropfer im Vietnamkrieg, mit dem Ziel eingebracht hat, alle militärischen und zivilen Dienststellen der USA auf das Verbot der Folter zu verpflichten. Unter dem Druck der in den USA selbst rapide zunehmenden Kritik an den Praktiken der CIA hat sich der US-Präsident gezwungen gesehen, sein ursprünglich gegen das Gesetz angedrohtes Veto fallen zu lassen. Das ist ein erster ermutigender Schritt, auch wenn er leider noch nicht das Ende von Guantánamo und vermutlich auch nicht die Beendigung der Verschleppung von Terrorismusverdächtigen in die Foltergefängnisse von Drittstaaten signalisiert.

Das jetzt von beiden Häusern des Kongresses der USA verabschiedete Gesetz zeigt allerdings, wie müßig der Einwand ist, ein klares Nein der Bundesregierung zum bisherigen Umgang der CIA mit den Menschenrechten könnte nur als Ausdruck eines schlechten deutschnationalen Antiamerikanismus verstanden werden. Niemand bestreitet die großen und aufopferungsvollen Verdienste, die sich die USA um die Entwicklung des Rechtsstaates und der Demokratie in dem insoweit historisch reichlich unterentwickelten Deutschland erworben haben.

Niemand bestreitet die großen Verdienste der USA um die Entwicklung des Rechtsstaates

Diese Verdienste begannen aber nicht zuletzt damit, dass die USA nach 1945 sogar im Umgang mit den Staatsterroristen und Massenverbrechern des NS-Regimes nicht auf Folter, Verschleppung und rechtsfreie Käfige gesetzt haben, sondern auf ein rechtsstaatliches Verfahren vor dem Nürnberger Tribunal. Die Verteidigungsrechte der Angeklagten blieben damals uneingeschränkt gewahrt. Es sind diese Traditionen, an die das neue Gesetz in den USA anknüpfen will. Diese Bemühungen sollten die USA mit einem klaren und unzweideutigen Nein zu menschenrechtswidrigen Praktiken der CIA stärken und unterstützen.

Mit dem Hinweis auf die viel und gern beschworene „transatlantische Wertegemeinschaft“ lässt sich das Dilemma der Bundesregierung jedenfalls nicht beenden. Das Problem besteht ja gerade darin, dass die US-Regierung von George W. Bush diese Wertegemeinschaft selbst aufgekündigt hat. Um den islamistischen Terror zu bekämpfen, haben sich die USA von den Verpflichtungen losgesagt, die sie durch die Unterzeichnung der Anti-Folter-Konvention der Vereinten Nationen eingegangen sind.

Einer Bundeskanzlerin, die als Bürgerin der Ex-DDR selbst erfahren hat, zu welchen Formen der Regierungskriminalität die notorische Missachtung der Menschenrechte führen kann, dürfte der Abschied von der politischen Zweideutigkeit dort, wo es um menschenrechtswidrige Praktiken der CIA geht, eigentlich nicht sonderlich schwer fallen. RUPERT VON PLOTTNITZ