Blinde Passagiere

Exotische Fische, Muscheln und Algen bringen das küstennahe Ökosystem durcheinander. Eingeschleppt werden die Lebewesen mit dem Ballastwasser von Schiffen. Meeresbiologen fordern eine vorbeugende Behandlung des zusätzlich geladenen Wassers

Von der Nordsee aus wanderten die Krabben in die Flüsse

VON ANNETTE LEYSSNER

Blinde Passagiere gefährden Ökosysteme weltweit. Im Ballastwasser von Frachtern reisen Fische, Krebse, Muscheln und Algen über die Meere. Wenn die Besatzung das Wasser im Zielhafen ablässt, gelangen die Lebewesen in Freiheit. Dort gedeihen sie oft prächtig und verdrängen heimische Arten.

Die Internationale Seeschifffahrtsorganisation, die den Vereinten Nationen unterstellt ist, will das ändern. Vergangenes Jahr beschlossen sie eine Richtlinie, nach der Ballastwasser behandelt werden soll. Sie tritt 2009 in Kraft – allerdings nur, wenn ihn 30 Staaten ratifizieren. Bisher haben fünf Staaten unterzeichnet. Die Bundesregierung ist „mit Ziel und Inhalt der Konvention einverstanden“, müsse aber noch technische Fragen klären, bevor sie unterschreibt, so die Auskunft aus dem Bundesverkehrsministerium.

Frachter nehmen bis zu 100.000 Tonnen Ballastwasser an Bord, um tiefer im Wasser zu liegen und die Gefahr eines Kenterns zu minimieren. Am Zielhafen werden die Wassermassen einfach abgelassen. Allein in die Häfen in Nord- und Ostsee fließen pro Jahr 20 Millionen Tonnen „fremdes“ Meereswasser. Meeresbiologe Stephan Gollasch hat am Institut für Meereskunde an der Universität Kiel mit Kollegen über einen Zeitraum von fünf Jahren das Ballastwasser von 200 Schiffen in deutschen Häfen untersucht. Die Forscher entdeckten 400 Arten von Lebewesen. Sie reichen von 15 Zentimeter langen Fischen bis zur mikroskopisch kleinen Algen.

Die erste Art, von der Biologen vermutet haben, dass sie eingeschleppt wurde, war die Alge Bidulphia sinensis. Sie wurde 1903 entdeckt und kam vermutlich an den Bordwänden von Booten aus China in deutsche Gewässer. Möglicherweise brachten bereits die Wikinger unbeabsichtigt die heute im Wattenmeer sehr verbreitete Sandklaffmuschel Mya arenaria von ihren Reisen aus Nordamerika mit. Das Problem der Verschleppung von Lebewesen und Organismen durch die internationale Schifffahrt habe sich aber verstärkt, seit Wassertanks Sandsäcke als gängigen Ballast ersetzt haben. „In den Tanks können auch Organismen überleben, die die Reise an der Bordwand nicht überstehen“, sagt Gollasch.

Es gibt hunderte von Beispielen, wie reisende Meeresbewohner am Zielort Chaos anrichteten. So bedroht beispielsweise die Wollhandkrabbe aus China das ökologische Gleichgewicht in der Nordsee. 1912 war sie auf einmal da: In einer Fischreuse in Niedersachsen tauchte das Tier auf, welches bis dato in Deutschland nie gesichtet wurde. Vermutlich war die Krabbe im Ballastwasser von Schiffen aus China eingereist. Von der Nordsee aus wanderten die Krabben in die Flüsse, mit einer Geschwindigkeit von bis zu zwölf Kilometern pro Tag. Auf ihrem Weg zerbeißen sie Fischernetze und unterhöhlen Deiche.

Die Europäische Zebramuschel hingegen fühlt sich mittlerweile in den großen Seen Nordamerikas wohl. Sie hat 40 Prozent der Wasserwege innerhalb der Vereinigten Staaten befallen, wuchert Zuflussrohre von Wasserkraftwerken zu und hat schon die Trinkwasserversorgung ganzer Städte lahm gelegt. Nach Schätzungen der Seeschifffahrtsorganisation geben die Vereinigten Staaten jedes Jahr etwa 20 Millionen Dollar aus, um die Zebramuschel unter Kontrolle zu halten.

Aus den Gewässern der Vereinigten Staaten wiederum wurde die Qualle Mnemiopsis leidyi ins Schwarze Meer exportiert. Der Seeschifffahrtsorganisation zufolge frisst die Qualle dermaßen viel Plankton, dass sie stark zum völligen Zusammenbruch der kommerziellen Sardellen-Fischerei in den Neunzigerjahren im Schwarzen Meer beigetragen hat. Jetzt droht das Gleiche im Kaspischen Meer.

Und der Seestern Asterias amurensis war vor 20 Jahren ursprünglich nur vor den Küsten Japans, Koreas und der Sowjetunion anzutreffen. Seit 15 Jahren sorgt der Seestern mit einer Spannweite von einem halben Meter vor der Küste Australiens für Aufregung, wo er „wie ein Staubsauger“ Bestände von Krebsen, Schnecken, Muscheln und Garnelen dezimiert.

Weltweit laufen 20 Projekte, die erforschen, wie Ballastwasser von mitreisenden Lebewesen frei gehalten werden kann. Die Internationale Seeschifffahrtsorganisation rät dazu, dass Frachter auf hoher See ihre Ballastwassertanks ablassen und neu füllen. Küstenlebewesen können im Allgemeinen nicht auf hoher See überleben und umgekehrt. Weitere Ansätze reichen von Filtern über Chemikalien und die Behandlung mit UV-Strahlen bis zur Erhitzung des Wassers. Um sicherzugehen, hält Meeresbiologe Gollasch es für nötig, mindestens zwei Systeme zur Behandlung von Ballastwasser einzusetzen. „Ein einfacher Filter reicht nicht. Auch größere Tiere werden sonst im Stadium als Ei oder Larve transportiert.“