Körting flüchtet sich in Floskeln

In einer Friedrichshainer Kneipe diskutieren eine Flüchtlingsinitiative und 150 Besucher mit dem Innensenator über ein Bleiberecht. Hitzig wird die Debatte, als es um einzelne Jugendliche geht

VON LUTZ STEINBRÜCK

Die Kneipe „Oxident“ in Friedrichshain ist rappelvoll. Die „GOG Juniors“, junge Streetdancer aus dem Soldiner Kiez, eröffnen den so genannten Salon interkulturell mit artistischen Tanzeinlagen zu groovigem HipHop. Die meisten Blitzlichter der Fotografen leuchten aber in eine andere Richtung: Begleitet von zwei Bodyguards nimmt Innensenator Ehrhart Körting (SPD) an einem Tisch Platz. Er wirkt abgespannt. Der engagierte Auftritt der Weddinger heitert ihn nicht auf. Aber er ist ja auch nicht hier, um einen der Tänzer zum Superstar zu küren, sondern um übers Bleiberecht zu diskutieren.

Seine Gesprächspartner sind Aysegül und Cahit von der Gruppe „Jugend ohne Grenzen“ (JOG), die aus einer Initiative des „Beratungs- und Betreuungszentrums für Flüchtlingsjugendliche“ in Moabit hervorging. Die JOG fordert ein Bleiberecht für alle Flüchtlinge in Deutschland. Der Innensenator will sich darauf nicht einlassen. Er plädiert für ein Bleiberecht, nach dem ihnen unter bestimmten Bedingungen nach sechs Jahren ein fester Aufenthalt zugesichert wird. Dazu gehört, dass sie nicht straffällig werden und Teil einer Familie sind. Ansonsten will er weiterhin je nach Einzelfall entscheiden. Schließlich sei „Humanität kein Grundrecht, das Flüchtlinge einfordern können, sondern Sache des Aufnahmelandes“.

Eine Stunde lang redet vor allem Körting. Abgeklärt trägt er seine Argumente vor. Aysegül und Cahit sprechen die fehlenden Perspektiven der jugendlichen Flüchtlinge an, die nach dem Schulabschluss nicht arbeiten und studieren dürfen. Überzeugen können sie den SPD-Politiker nicht. Aber das hat auch niemand der 150 Gäste – darunter viele Flüchtlinge – im Raum erwartet.

Immerhin kommt es zu einem Gedankenaustausch – und das finden die beiden JOG-Mitglieder gut. Hitziger wird es, als die Runde sich für alle Anwesenden öffnet. Jetzt kommen Jugendliche zu Wort, in deren Familien die Duldung unmittelbare Existenzängste auslöst. Die 18-jährige Kurdin Nasli etwa, deren Bruder Basir davon betroffen ist. Im Januar wird er volljährig, erzählt sie; dann droht ihm die Abschiebung in die Türkei. Die Vorgeschichte: 1989 war die Familie nach Deutschland geflohen. Da die Türkei als Staat gilt, in dem es offiziell keine politische Verfolgung gibt, hatte der Vater der beiden 1990 als Herkunftsland den Libanon genannt und die Behörden getäuscht. 1994 korrigierte er laut seiner Tochter seine Angaben. Er ist inzwischen in die Türkei zurückgekehrt und dort in zweiter Ehe verheiratet.

Bis auf Nasli, die einen Ausbildungsplatz als Arzthelferin hat, habe keines der insgesamt sieben Familienmitglieder ein Aufenthaltsrecht. Sie sehen ihre Duldung als nachträgliche Bestrafung für die ehemalige Falschaussage des Vaters, zu dem sie keinen Kontakt mehr haben, sagt Nasli. Basir spreche kein Wort Türkisch und weiß nicht, wie sein Leben in dem fremden Land aussehen könnte.

Der Senator bleibt unaufgeregt, geht in der Debatte nicht auf Einzelfälle ein. „Körting will die humanitäre Dimension solcher Fälle nicht wahrnehmen“, wirft ihm Walid Chahrour vom Flüchtlingsrat vor. „Bis zu einer möglichen Bleiberechtsregelung könnte er in Berlin ein Abschiebestopp verhängen, um die Situation für die geduldeten Flüchtlinge erträglicher zu machen.“ Pro Asyl und der Flüchtlingsrat haben bereits an den Senator appelliert, diese Möglichkeit zu prüfen.