Protest: "Schall und Rauch abwählen"

Vor dem Kanzleramt demonstrieren 500 Menschen gegen Fluglärm. Am stärksten betroffen sind die Anwohner von Tegel - aber von denen ist niemand hier.

Den stärksten Applaus des bürgerlichen Publikums für einen Politiker erhält Martin Delius von der Piratenpartei Bild: Paul Zinken/dpa

Am Anfang erinnert die Fluglärm-Demonstration an eine Hochzeit, bei der alle Verwandten auf die Bühne dürfen, um dort etwas aufzuführen. Einer gibt Zarah Leander und singt eine selbst umgedichtete Version von „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen“. Eine Frau hat sich den Schlager „Ein bisschen Frieden“ genommen, in ihrer Version lautet der Titel „Ein bisschen Fliegen“. Und ein Dritter spielt eine Mischung aus Matthias Platzeck und Klaus Wowereit und verteidigt den Flughafen in satirischer Form: „Wir verlängern Ihre Lebenszeit! Mit nur noch fünf Stunden Schlaf und acht Stunden Arbeit haben Sie jeden Tag elf Stunden Freizeit!“

Es ist Samstagmittag, rund 500 Menschen demonstrieren vor dem Kanzleramt gegen Fluglärm, ein paar auch gegen die Verlängerung der Autobahn 100. Ihr gemeinsames Motto: „Schall und Rauch abwählen“. Die meisten Demonstranten sind Eigenheimbesitzer mittleren Alters aus dem Berliner Umland, die von den zukünftigen BER-Flugrouten betroffen sind.

Von den Anwohnern des Flughafens Tegel scheint niemand hier zu sein, obwohl dort viel mehr Menschen betroffen sind. Ihr Fluglärm wird allerdings eines Tages von alleine verschwinden: Sobald der neue Großflughafen BER eröffnet, soll Tegel laut den Versprechungen der Politik schließen. Warum also demonstrieren, wenn abwarten reicht?

Zudem weichen die Ziele der beiden Anwohnergruppen voneinander ab. Den heftigsten Applaus für eine Politiker-Rede erhält Martin Delius von der Piratenpartei, als er fordert, den milliardenteuren BER-Neubau in Schönefeld aufzugeben und weiter entfernt von der Stadt nochmal an einem neuen Standort ganz von vorne zu beginnen. Die Konsequenz daraus wäre allerdings: Bis der neue Flughafen fertig ist, müsste Tegel offen bleiben. Die Anwohner dort wollen aber ihre Ruhe so schnell wie möglich – sie hoffen darauf, dass der Flughafenneubau in Schönefeld zügig eröffnet.

Vom Kanzleramt zieht die Demonstration dann 50 Meter weiter vor das Paul-Löbe-Haus des Bundestages. Uwe Hiksch von den Naturfreunden fordert, dass Fracht auf Schife gehöre, nicht auf Flugzeuge: „Es ist besonders pervers, dass wir hier Blumen kaufen, die in Kenia gezüchtet wurden, die dort den Menschen das Grundwasser wegnehmen und die hier mit Ausnahmegenehmigungen nachts landen dürfen.“

Viel Applaus erhält auch seine Forderung nach einem Verbot aller innerdeutscher Flüge, die in Berlin 42 Prozent der Starts und Landungen ausmachen würden. Hiksch: „Es kann doch nicht sein, dass Menschen unter Lärmterror leiden, damit andere eine Stunde Fahrzeit einsparen!“ Er ruft die Demonstranten zum Widerstand auf und sagt: „Wir werden die Politiker nicht schlafen lassen, bis dieser Flughafen und diese Autobahn 100 gestoppt sind!“

Der Grünen-Europaabgeordnete Michael Cramer kritisiert, dass den Fluggesellschaften in Europa jährlich Kerosin- und andere Steuern in Höhe von 30 Milliarden Euro erlassen werden. „Man stelle sich vor, wir würden dieses Geld zehn Jahre lang in den Ausbau von Hochgeschwindigkeitstrassen für Züge stecken!“ Das würde Bahnfahren attraktiver machen, den Flugverkehr halbieren und somit Emissionen und Lärm reduzieren. „Wir müsen die Subventionen und Investitionen in die falsche Richtung stoppen!“ Dafür brauche es nicht einmal mehr Geld, sagt Cramer, sondern nur eine andere Politik.

Der Applaus der Anwesenden bei solchen Forderungen ist zwar laut. Dennoch: Die Zahl von nur 500 Teilnehmern bleibt unter den Erwartungen angesichts des Termins zwei Wochen vor der Bundestagswahl, dem Ort direkt vor dem Kanzleramt, dem Aufruf durch ein breites Bündnis und dem guten Wetter. Insgesamt scheint die Luft bei dem Thema weitgehend raus zu sein. Eine Unterschriftensammlung soll jetzt noch mal mobilisieren: Das Nachtflugverbot soll von derzeit 0 bis 5 Uhr ausgeweitet werden auf 22 bis 6 Uhr. Ziel ist eine landesweite Volksabstimmung – bis dahin sind aber noch ein paar Hürden zu nehmen und vor allem 170.000 Unterschriften zu sammeln.

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