Internationaler Frauentag: Die Unsichtbaren: Es geht nie um mich

Seit über 20 Jahren ist Martina Meyer Maskenbildnerin. Derzeit am Hamburger Thalia Theater. Um ihre Person geht es nie, sondern nur um das, was sie erschafft.

Manchmal arbeitet Martina Meyer 60 Stunden lang an einer einzigen Perücke. Doch das größte Lob ist für sie, wenn niemand ihre Arbeit bemerkt. Sie bleibt lieber unsichtbar. Bild: Ulrike Schmidt

HAMBURG taz | Das größte Lob für mich ist, wenn niemandem meine Arbeit auffällt, wenn Maske und Schauspieler auf der Bühne verschmelzen. Oft höre ich von Freunden, die Vorstellungen besuchen, in der jeder Schauspieler Maske und Perücke trägt: „Na, da habt ihr aber nicht viel zu tun gehabt.“ Dabei haben wir Maskenbildner uns dann die Finger wund gearbeitet, stundenlang Haar für Haar in den Tüll geknüpft. Ist unsere Arbeit sichtbar, haben wir geschlampt.

Doch obwohl ich stets hinter der Bühne bin, statt im Rampenlicht zu stehen und keinen Applaus nach einer gelungenen Vorstellung bekomme – ohne Maskenbildner kann ein Stück nur schwer gelingen. Das Theater ist wie ein Uhrwerk. Alle Zahnräder müssen greifen. Meine größte Angst ist deswegen, dass sich eine Perücke oder geklebte Glatze während der Vorstellung ablöst oder unrealistisch wirkt. Das ist immer eine Zitterpartie, weil man unter Umständen nicht eingreifen kann und dadurch die durch uns geschaffene Illusion erlischt.

Gewiss, es geht nie um meine Person, sichtbar bin ich nie. Wozu auch? Es geht um das, was ich erschaffe, um die Masken und Perücken, die ich minutiös mit der Hand fertige. Das sind meine Babys. Sie müssen auf der Bühne strahlen und sitzen – nicht ich.

Doch sind die Menschen hinter der Bühne genauso wichtig. Ohne uns wäre es ja auch ein bisschen traurig. Es sind größtenteils Frauen, die im Thalia Theater in der Maskenbildnerei arbeiten. Wir sind zwölf Kolleginnen und nur ein Kollege. Dennoch ist es kein typisch weiblicher Beruf, wie man vielleicht annehmen könnte. Nur spezialisieren sich viele Maskenbildner zum Beispiel in Richtung Film und Special Effects.

Das Schöne an meinem Beruf ist, dass ich mit so vielen unterschiedlichen Menschen zu tun habe. Oft herrscht bei uns ein Riesentrubel, je näher die Premiere rückt. Überall werden die Arbeiten fertiggestellt und letzte Änderungen vorgenommen. Außenstehende können sich immer schwer vorstellen, was wir den ganzen Tag so machen, weil die Vielseitigkeit unseres Berufes meistens unterschätzt wird – für manche Perücken brauche ich 60 Stunden, denn jede ist maßgefertigt. Dazu kommt, dass die Perücken der laufenden Produktionen aufwendig gepflegt werden müssen.

Wenn Journalisten ins Theater kommen, um Schauspieler vor einer Premiere zu interviewen, wollen sie übrigens oft zu uns in die Maske. Denn bei uns ist die Kulisse interessant: der Schauspieler wird geschminkt, verwandelt sich – aber wer den Pinsel hält und wer ihn verwandelt, klar, das ist Nebensache. Ich habe dann oft die Kamera vor der Nase, muss irgendwie sehen, dass ich dazwischen durchkomme und weiterarbeite. Ich bin dann zwar schon in gewisser Weise sichtbar – andererseits aber auch nicht.

Ich möchte aber auch gar nicht sichtbar sein, denn ich habe mich bewusst dafür entschieden, im Hintergrund zu agieren. Menschen, die gerne in der Öffentlichkeit stehen wollen, sollten eher nicht Maskenbildner werden. Allerdings genau so wenig diejenigen, die in Ruhe arbeiten wollen, denn bei uns in der Maske ist meistens viel los. Ich genieße es daher, ab und an auch mal meine Ruhe zu haben.

Ich bin alleinerziehend, habe einen 17-jährigen Sohn und eine Tochter, sie ist 21 und will auch ans Theater. Allerdings möchte sie nicht Maskenbildnerin werden, nein, sie möchte, im Gegensatz zu mir, tatsächlich ins Rampenlicht.

Mir war immer klar, dass ich auf jeden Fall einen künstlerisch-gestalterischen Beruf ergreifen würde; es ging über Grafik- und Werbedesign, ja sogar zur freien Kunst und der Architektur. Letztendlich habe ich dann in Berlin Kostümbild studiert. Vorher habe ich ein Jahr lang ein Praktikum in der Schneiderei des Staatstheaters Hannover gemacht und konnte auch mal in die Maske schauen. Dort hat es mir dann so gut gefallen, dass ich entschieden habe, Maskenbildnerin zu werden. Ich konnte in Hannover eine Ausbildung machen, blieb noch fünf Jahre dort und wechselte dann nach Hamburg ans Thalia Theater.

Nun bin ich 51, seit 1985 Maskenbildnerin und es macht mir immer noch Spaß. Dennoch könnte ich mir vorstellen – wäre ich noch jünger – auch etwas anderes zu machen. Aber nichts, wo man mich sieht, ich bin lieber unsichtbar.

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