nebensachen aus stockholm
: Wie aus Frida Königin Lucia wird

„Ist doch klar, dass das Frida wird.“ Drei Sechstklässler, männlich, stehen vor der Anschlagtafel am dörflichen Lebensmittelladen. Sie kommentieren fachmännisch die Fotos der Mädchen, die in diesem Jahr für die Wahl der Lucia im örtlichen Sportverein kandidieren. Frida sieht mit ihren langen blond gelockten Haaren so aus, wie man sich eine Lucia vorstellt. In einen Pappkarton kann man den Stimmzettel einwerfen. Da landet auch meiner. Kreuz bei Nummer 3: Frida. Damit beteilige auch ich mich an dieser verwerflichen Schönheitskonkurrenz. Für Frida habe ich nur gestimmt, weil sie als Mitglied des Kirchenchors die nötige gesangliche Qualifikation verspricht.

Vor zehn Jahren war die jährliche Lucia-Wahl nichts weiter als eine schöne Tradition in jedem Ort, jeder Schule und jedem Verein. Das Gedenken an die sizilianische Heilige, die im Jahre 304 auf dem Scheiterhaufen endete, hat auch im protestantischen Norden überlebt. Im bäuerlichen Schweden wurde sie seit dem 17. Jahrhundert zu Luzifers Tochter uminterpretiert, die die Dämonen der Dunkelheit dank eigener dämonischer Kräfte von Hof und Stall fernhalten sollte.

Vor vier, fünf Jahren kam die Lichterkönigin verstärkt wegen anderer dunkler Machenschaften ins Gerede. Die Zeitungen zitierten Frauen, die vom angeblich lebenslangen Trauma dieses aufs Aussehen fixierten Wettbewerbs berichteten. Welch tiefe Spuren es hinterlassen habe, bei einer solchen Wahl nur die drei Stimmen aus der eigenen Familie erhalten zu haben. SoziologInnen analysierten, wie rassistisch und frauenverachtend diese Konkurrenz sei. Die meisten Lucia-Wahlen sind deshalb abgeschafft. Nun wird gelost. Oder die Kandidatinnen stimmen intern ab, wer von ihnen Lucia sein soll.

„Skitsnack“, Quatsch ist das Thema Schönheitswettbewerb für Nachbarin Anna. Sie hat gut reden, war sie doch selbst vor neun Jahren Gewinnerin der vom Lokalblatt veranstalteten Lucia-Wahl. Sie muss nicht mit einem Trauma weiterleben, sondern mit der Erinnerung daran, wie sie im eisigen Schneegestöber auf dem Marktplatz einer Kleinstadt die Lichterkrone trug. Angeblich aber ohne Gedanken an eine künftige Miss-Schweden-Karriere: „Da denkst du nur: Bloss nicht blamieren, und hoffentlich tropft das Wachs nicht ins Haar.“ Neben der Ehre sei der Zug durch Altersheime, Krankenhäuser, Büros und Firmen vor allem eines gewesen: anstrengend.

In Stockholm bereitet sich eine auserwählte Schar Lucias gerade auf eine besonders ehrenvolle Tradition vor. Anlässlich der Nobel-Feier am 10. Dezember dürfen sie mit Kerzenschein und Gesang die PreisträgerInnen in deren Hotelzimmern wecken. Die werden vorgewarnt, seit 1962 ein offenbar unvorbereiteter Literaturnobelpreisträger John Steinbeck in Panik die Bettdecke übers Gesicht zog, als die Tür sich für die weiß gekleideten blonden Engelsgestalten öffnete, und stöhnte: „Oh my God. I’m dead. I am in heaven!“ REINHARD WOLFF