Die Zerstörungslust regiert

Ein belangloser Provokationsversuch, Hauptsache laut: Andreas Kriegenburg inszeniert „Sauerstoff“ von Iwan Wyrpajew am Thalia in der Gaußstraße

Alexander braucht Sauerstoff. Am Kleinstadtmief droht der junge Mann aus der russischen Provinz zu ersticken. Seine Lösung: Alex zerstückelt seine Frau. Denn die sei eine von denen ohne Sauerstoff, dazu noch schwarzhaarig. Alexandra hingegen kommt aus der Hauptstadt, ist rothaarig, voller Sauerstoff und geil wie er.

Die Geschichte von Alex und Alex besangen sie (Natalie Seelig) und er (Jörg Koslowsky) auf der Premierenvorstellung von Sauerstoff im Thalia in der Gaußstraße zu Rhythmen zwischen Rap, Afro-HipHop und Punk: alles in allem in erster Linie laut und ebenso aggressiv wie die Textvorlage des jungen Russen Iwan Wyrpajew. Im Hintergrund auf der voll mit Holz getäfelten Bühne sitzt der DJ (Johannes Schäfer) auf dem Boden vor seinen Plattentellern und scratcht.

„Die zehn Gebote“ heißt die neue CD, die hier vorgestellt werden soll. In jedem der zehn Lieder erzählen sie und er, wie Alex und Alex gegen die göttlichen Gesetze verstoßen – blasphemisch, provokant und doch angepasst. Denn abgearbeitet wird sich hier nur an den normativen christlichen Sätzen, rebelliert gegen kirchliche Doppelmoral – aber nichts Eigenes wird entwickelt.

Stattdessen regiert die Zerstörungslust: Alex und Alex, so ist zu hören, tanzen, ficken, morden und dröhnen sich mit Heroin zu gegen die Enge im postkommunistischen Russland. Sie bespritzen einander mit Blut, grölen, sprühen Rasierschaumgesichter an die kahlen Wände, rennen, zucken und demonstrieren, von Kunstblut überströmt, Kopulationsstellungen.

Sie können nicht anders, und das ist schrecklich. Unerträglich jedoch ist, wie Regisseur Andreas Kriegenburg diese Hoffnungslosigkeit gerade nicht in Szene setzt. Stattdessen zweistündiges Gebrabbel von der „Großstadtbitch“ und dem „Provinztrottel“, von Impotenz und „der Arabischen Welt“.

Wer Logik suche, der sei in diesem Stück nicht richtig, klären die Protagonisten das Publikum auf. So gemeint sei von alledem eh nichts. Statt diese Unfähigkeit zur Sinnstiftung zu dramatisieren, bliebt die Inszenierung auf der Brabbel-Ebene: Der Todespilot vom 11. September habe dasselbe Motiv gehabt wie der Feuerwehrmann, der anschließend die Flammen löschte; in Dubai lasse es sich gut vögeln; Hochwasser; Anschläge in Jerusalem.

Der treffendste Satz dieses Slams: „Eure Perlen sollst du nicht vor die Säue werfen“, eigentlich ein Schenkelklopfer, trägt Natalie Seelig da doch gerade eine Schweinsmaske. Treffend aber, weil die Schauspieler genau das tun: ihre künstlerische Energie vergeuden an ein belangloses Stück. Katrin Jäger

Weitere Vorstellungen: 9. und 15. 12., 20 Uhr, Thalia in der Gaußstraße