Besuch auf dem Kiez

„Bordsteinschwalben, Bordellwirthe und der Schutzmann“: Für den Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten hat sich eine Hamburger Schulklasse mit einem ungewöhnlichen Thema beschäftigt – dem Beruf der Prostituierten im Wandel der Zeit

von Kristina Allgöwer

Begeistert waren die Schüler von Wolfgang Reimers nicht, als er ihnen vorschlug, an einem Geschichtswettbewerb teilzunehmen. Das Interesse der Zwölftklässler des Gymnasiums Oberalster war erst geweckt, nachdem sie sich ein Thema überlegt hatten: Hamburg-spezifisch sollte es sein, und nichts, was man normalerweise in der Schule lernt. „Bordsteinschwalben, Bordellwirthe und der Schutzmann“ ist der Titel ihrer 80-seitigen Projektarbeit. Fünf Wochen lang haben sich die Schüler mit dem Beruf der Prostituierten in der Geschichte beschäftigt.

Seit mehr als 30 Jahren richtet die Hamburger Körber-Stiftung den bundesweiten „Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten“ aus. „Sich regen bringt Segen? Arbeit in der Geschichte“ lautete das Motto in diesem Jahr. Rund 6.000 Kinder und Jugendliche zwischen acht und 21 Jahren haben sich daran beteiligt. „Der Wettbewerb soll sie anregen, ihre eigenen Fragen an die Geschichte zu stellen“, sagt Katja Fausser von der Körber-Stiftung.

Der Beitrag der Schüler vom Gymnasium Oberalster hat dabei einen vierten Platz belegt. Nicht zuletzt das ungewöhnliche Thema habe die Jury beeindruckt, so Fausser. Wissenschaftlich betreut von ihrem Geschichtslehrer Wolfgang Reimers haben die Jugendlichen in kleinen Gruppen gearbeitet: Einige beschäftigten sich mit der Reeperbahn im Wandel der Zeit, andere mit Ausstiegsmöglichkeiten für Prostituierte, mit Gesetzgebung oder Gesundheitsproblematik.

Die 18-jährige Mona Grotheer hat sich mit der Prostitution im Nationalsozialismus befasst. Aufgefallen ist ihr dabei die damals herrschende Doppelmoral: „Einerseits haben die Nazis eine radikale Politik gegen die Prostitution geführt“, erzählt die Schülerin, weil diese den „gesunden Erbstrom“ gefährden würden. „Andererseits mussten Frauen in Konzentrationslagern und Wehrmachtsbordellen als Zwangsprostituierte arbeiten.“ Im Staatsarchiv fand Mona ein Urteil des Hamburger „Erbgesundheitsgerichts“ gegen eine Prostituierte, die wegen „moralischen Schwachsinns“ in ein Arbeitslager gesperrt wurde.

Vor vier Jahren hat Wolfgang Reimers schon einmal mit einer Klasse am Geschichtswettbewerb teilgenommen. Damals konnte er den Schülern für die Projektarbeit noch drei Monate Zeit geben. „Heute sind die Lehrpläne viel straffer“, sagt Reimers. Ein Jahr vor dem Abitur mussten die Jugendlichen deshalb auch einen großen Teil ihrer Freizeit opfern. Für Justus Schwarz hat sich die Arbeit dennoch gelohnt: „Das war der längste zusammenhängende Text, den ich bis dahin geschrieben habe.“ Dadurch habe er gelernt, wie man interessant und spannend formuliert und die wichtigen Informationen aus der Masse herausfiltert.

Justus hat sich mit dem Verhältnis von Prostituierten zu Zuhältern und zur Polizei auseinander gesetzt. Darüber informiert hat er sich unter anderem bei einem Einsatzleiter des Landeskriminalamts, der im vorigen Jahr die Schulklasse besuchte. Der 18-Jährige erfuhr zum Beispiel, dass sich die EU-Osterweiterung nicht immer positiv auf die Lebensumstände der osteuropäischen Prostituierten auswirkt: „Früher war die eigene Strafbarkeit der Frauen, die illegal eingereist waren, das typische Druckmittel der Zuhälter“, erzählt er. Weil sich die Prostituierten nun legal in Deutschland aufhalten dürfen, griffen die Zuhälter immer häufiger zu physischer Gewalt.

„Wir haben viel über etwas gelernt, was man sonst nur aus Film und Fernsehen kennt“, sagt Julian Staben, der für sein Kapitel über die rechtliche Stellung der Prostituierten mit einem Verwaltungsrichter gesprochen hat. Es habe Spaß gemacht, sich mit Inhalten zu beschäftigen, die nicht anschließend geprüft würden. Und noch etwas Gutes hat die Teilnahme am Geschichtswettbewerb gebracht: Ihren Gewinn von 250 Euro haben die Schüler gespendet – an eine Hilfsorganisation, die Prostituierte betreut.