Obstsaft fürs Hirn

„Hungrige und fehlernährte Kinder lernen schlechter“, warnen Experten. Schulkantinen könnten gegensteuern – doch fehlendes Wissen und Geldmangel behindern oft die vollwertige Versorgung

von Christine Jähn

„Ganztagsschulen“, sagt Ulrike Ravens-Sieberer vom Berliner Robert-Koch-Institut, „sind ein Glücksfall für die Gesundheitsförderung“: die Schüler könnten in Schulkantinen richtiges Essverhalten lernen. Tatsächlich gibt es an rund 135 Schulen in Hamburg einen Mittagstisch, für den sich Experten und Schulen um Qualität bemühen. Doch vielfach behindern fehlendes Wissen, Geld- und Raummangel eine gesunde und vollwertige Ernährung. „Die realen Chancen für die Kinder“, bedauert die Hamburger Ökotrophologin Ulrike Arens-Azevedo, „werden viel zu wenig genutzt.“

„Hungrige und fehlernährte Kinder lernen schlechter“, betont Arens-Azevedo, die als Präsidiumsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DEG) das deutschlandweite Projekt „Schule + Essen = Note 1“ mitgestaltet hat. Dieses Projekt soll Ganztagsschulen bei der Entwicklung einer ernährungsphysiologisch ausgewogenen Verpflegung unterstützen. „Mittelfristig fördert eine vollwertige Ernährung die geistige und körperliche Leistungsfähigkeit“, so Arens-Azevedo. Doch häufig müssten Küchenkräfte und selbst das pädagogische Personal noch überzeugt werden, sich mit diesem Thema zu befassen.

Viele Kinder gehen ohne Frühstück aus dem Haus

Dabei könnten Schulkantinen durchaus Defizite stopfen. Zwei Drittel der Kinder in Deutschland, das ergab eine Studie des Robert-Koch-Instituts von 2002, bekommen nicht täglich Gemüse und Salat auf den heimischen Tisch. Weniger als die Hälfte isst täglich Obst, dafür über ein Drittel mindestens einmal am Tag Süßigkeiten. Regelmäßige Mahlzeiten gehören längst nicht mehr zum Alltag; viele Kinder gehen ohne Frühstück aus dem Haus.

„Reichlich pflanzliche Lebensmittel, mäßig tierische Produkte und sparsam fettreiche Lebensmittel und Süßwaren“ gelten laut Arens-Azevedo „als Faustregel“ für die vollwertige Versorgung. Obst und Gemüse, zum Beispiel auch in Form verdünnter Säfte, spielten die zentrale Rolle, weil deren Mineralstoffe und Vitamine „für die Hirnleistung wesentlich“ seien: „Etwa 700 Gramm täglich sind optimal.“ Und nicht zuletzt muss der gesunde Eintopf natürlich auch schmecken: „Wenn es kein Kind isst, dann hat niemand was davon“, sagt Arens-Azevedo. Stimme die Rezeptur, könne eine pflegliche Zubereitung ohne Verlust von Nährstoffen oder Vitaminen im Prinzip mit jedem Verpflegungssystem – ob Aufwärm- oder Produktionsküche – erzielt werden.

In Hamburg sind die Aufwärmküchen auf dem Vormarsch: „In der Regel statten wir heute die Schulen mit diesem System aus“, sagt Thomas John von der Bildungsbehörde. Diese Küchen ermöglichen es den Schulen, warme Mahlzeiten zu verteilen, die ein Caterer vorbereitet hat. Auch Tiefkühl- und Kühlkost kann so zubereitet werden.

Frisch gekocht wird an Hamburgs Schulen kaum

„Nur frisch gekocht werden soll eben nicht“, kommentiert Silke Bornhöft bedauernd diese im Vergleich zur Produktionsküche kostengünstigere Variante. Die Ökotrophologin und Elternvertreterin am Carl-von-Ossietzky-Gymnasium in Hummelsbüttel bezweifelt, dass in Hamburg alle Aufwärmküchen angemessen betrieben werden können. Denn je länger das Essen warmgehalten werde, desto mehr gingen beispielsweise die Vitamine C, B1, B2 und Folsäure verloren – „und mit Folsäure sind wir in Deutschland ohnehin unterversorgt“, warnt auch Arens-Azevedo. Eine Warmhaltezeit von weniger als einer Stunde bei 65 bis 70 Grad wäre laut Bornhöft deshalb notwendig – bis zu drei Stunden hält Arens-Azevedo für ernährungsphysiologisch „gerade noch vertretbar“.

Für Bornhöft ist selbst die Einhaltung dieser Frist „völlig illusorisch“: Nicht alle Kantinen hätten einen Anbieter in ihrer Nähe. „Außerdem“, weiß die Ernährungsberaterin, „fangen einige Caterer morgens an zu kochen und haben die ersten Teile des Mittagessens bereits um neun Uhr fertig“. Bornhöft erzählt als freiberufliche Ernährungserzieherin Grundschülern „wie sie sich gesund ernähren“. Und dann, ärgert sie sich, „ist kein Geld dafür da“.

Das Carl-von-Ossietzky-Gymnasium hat inzwischen aus eigenen Mitteln investiert: „Über den Schulverein“, berichtet Schulleiterin Martina Bröker, „haben wir einen großen Herd nachgekauft.“ Eine Pächterin bereitet hier nun – täglich frisch – gesunde Mahlzeiten zu.