„Ein Privatsender hätte es ganz gezeigt“

Medienwissenschaftler Stephan Weichert lobt den Umgang der ARD mit dem Video, das die Geisel zeigt

taz: In allen Medien wird seitenlang über die entführte Deutsche im Irak berichtet. Ist das zu viel?

Stephan Weichert: Nein, im Gegenteil. Ich finde eine sehr umfangreiche Berichterstattung sehr wünschenswert.

Aber jeden Tag werden im Irak Menschen entführt, ohne dass die Öffentlichkeit davon erfährt. Bei einer deutschen Entführten sind die Medien plötzlich voll.

Als Journalist wissen Sie um die Gewichtung von Nachrichten. Wenn eine Deutsche entführt wird, spielt das für die deutsche Berichterstattung eine größere Rolle. Man kann natürlich beklagen, dass so wenig über die irakischen Opfer berichtet wird. Aber diese Asymmetrie in der Kriegsberichterstattung finden wir häufig: Bestimmte Länder etwa werden stets vernachlässigt.

Das andere Argument gegen ausgedehnte Berichterstattung ist, dass sich die Medien zum Gehilfen der Entführer machen. Können sie dem eigentlich entgehen?

Die Gefahr ist da, dass die Medien zum Forum für terroristische Botschaften werden, wenn Bekennervideos vollständig gezeigt werden, wie das bei al-Dschasira häufig der Fall war oder beim Enthauptungsvideo von Nicholas Berg, das ins Internet gestellt wurde. Das Beispiel der ARD im vorliegenden Fall hat gezeigt, dass es noch verantwortungsbewusste Journalisten wie Hartmann van der Tann gibt, die erst das Gespräch mit dem Auswärtigen Amt suchen und sich dann entscheiden, nur ein Standbild zu zeigen. Wäre es einem Privatsender zugespielt worden, wäre es sicher ganz gezeigt worden. In Italien im Fall Giuliana Sgrena wurde das Video ausgestrahlt und entfaltete enormen emotionalen und politischen Druck. Schließlich wurde offenbar Lösegeld gezahlt, und die Entführer hatten, was sie wollten.

Gehen nicht die Absichten der Entführer von Frau Osthoff dennoch auf, nämlich den Deutschen das Gefühl zu geben: Ihr seid auch betroffen?

Mit solchen Äußerungen wollen sich doch vor allem Politiker wie Herr Schäuble profilieren. Aber solange die Motive der Entführer noch völlig unklar sind, ist das Quatsch.

Bei der Enthauptung Nicholas Bergs gab es auch die Kontroverse darüber, ob es eigentlich bei einem im Netz allgemein zugänglichen Video Sinn macht, wenn die traditionellen Medien es nicht zeigen.

Ich denke schon. Es wäre schlimm, wenn selbst die journalistisch verantwortlichen Medien so was nur noch durchlaufen lassen würden, ohne die vermeintliche Botschaft der Terroristen zu hinterfragen.

INTERVIEW: BERND PICKERT