NSU-Helfer wird aus Haft entlassen: Hardcore-Nazi in Freiheit
Der Bundesgerichtshof lässt wieder einen mutmaßlichen Helfer des NSU frei: den Neonazi André E. Er stand bis zum letzten Tag mit dem Trio in Kontakt.
BERLIN taz | Und wieder hat der Bundesgerichtshof einen Haftbefehl gegen einen mutmaßlichen Unterstützer des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) aufgehoben. Am Donnerstag ordneten die Richter an, den 32-Jährigen sächsischen Neonazi André E. auf freien Fuß zu setzen – und damit einen Mann, der bisher als einer der wichtigsten Helfer des Trios im Untergrund galt und zwischenzeitlich in den Medien gar als viertes Mitglied der Terrorgruppe gehandelt wurde.
Die Bundesanwaltschaft hatte ihn Ende November verhaften lassen und ihm unter anderem vorgeworfen, das zynische Bekennervideo des NSU hergestellt zu haben. In dem erst nach Auffliegen des NSU bekannt gewordenen Clip hatten sich die rechtsextremen Terroristen zu neun Morden an Migranten, zwei Bombenanschlägen und zum Mord an einer Polizistin bekannt. Die Taten fanden zwischen 2000 und 2007 statt.
Doch ein gutes halbes Jahr nach André E.s Festnahme hält der Bundesgerichtshof nun zumindest einen für die Untersuchungshaft nötigen „dringenden Tatverdacht“ nicht mehr für gegeben. Er muss daher entlassen werden.
André E. gilt als überzeugter Neonazi. „Die Jew die“, hat er auf den Bauch tätowiert - Stirb, Jude, stirb. Zeitweise wurde er der „Weißen Bruderschaft Erzgebirge“ zugerechnet, die Anfang des Jahrtausends ein Magazin namens „The Aryan Law and Order“ herausgab, in dem sie das Konzept der „14 Words“ propagierte: „Wir müssen das Leben unserer Rasse und eine Zukunft für unsere weißen Kinder sichern.“
Verdächtiger Flyer zu wenig
Laut der Ermittlungsakten soll André E. von 1998 bis zum letzten Tag in Kontakt mit dem NSU-Trio im Untergrund gestanden haben. Er soll ihnen die erste Wohnung in Chemnitz organisiert haben, im letzten Wohnhaus der drei in Zwickau wollen Zeugen dann E.s Frau Susann wöchentlich gesehen haben, manchmal soll auch André E. dabei gewesen sein.
Seine Telefonnummer war es auch, die Zschäpe sofort anrief, nachdem sich Mundlos und Böhnhardt im November 2011 in ihrem Wohnmobil in Eisenach erschossen hatten. Im Schutt der NSU-Wohnung in Zwickau fanden die Ermittler dann private Bilder der Neonazifamilie E. samt Einladung zum Hitlerjugend-Lieder-Singen – und einen Flyer von André E.s Videoproduktionsfirma „Aemedig“.
Der Flyer war auch der Grund, weshalb die Ermittler den Neonazi im Herbst dringend verdächtigten, bei der Herstellung des NSU-Bekennervideos geholfen zu haben.
Doch den Bundesgerichtshof konnten all diese Verdachtsmomente nun nicht überzeugen – zumindest nicht, um André E. weiter in U-Haft zu belassen.
Es habe kriminaltechnisch nicht belegt werden können, dass André E. den Film erstellt habe, heißt es in dem am Donnerstag veröffentlichten Beschluss des Gerichts. Auch die Argumentation, nur er habe über das notwendige Know-How zur Produktion des Films verfügt, überzeugte die Richter nicht.
„Langjährige, enge Freunde“
Denn auch der NSU-Terrorist Mundlos habe sich mit Computern ausgekannt. Außerdem seien erste Vorgängerversionen des Bekennerfilms schon im März und im Oktober 2001 entstanden – in dem Jahr habe der einstige Maurer André E. gerade erst mit seiner Umschulung zum Informatiker angefangen.
Zwar sieht auch der Bundesgerichtshof, dass André E. „in einer langjährigen engen und freundschaftlichen Beziehung“ zu Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe gestanden habe. Belege dafür, dass er von den Mordtaten des NSU gewusst habe, hätten die Ermittler aber nicht vorbringen können.
André E. schweigt – und kommt jetzt erst mal wieder frei. Das heißt aber nicht, dass eine Anklage und eine spätere Verurteilung nun völlig ausgeschlossen wären. Die Bundesanwaltschaft ermittelt weiter gegen ihn.
Nach mehreren Freilassungen in den vergangenen Wochen sitzt nun aber außer Beate Zschäpe nur noch ein mutmaßlicher Unterstützer der NSU-Terroristen in Untersuchungshaft: Der ehemalige Vizechef der Thüringer NPD Ralf Wohlleben, 37, der dem Trio die Ceska-Pistole beschafft haben soll, mit der der NSU neun Migranten ermordete. Den Angehörigen der Opfer wäre es kaum zu vermitteln, sollte auch er noch freigelassen werden.
Leser*innenkommentare
bernd baron
Gast
Sehr geehrter Herr Schmidt,
den Ermittlungsbehörden und der Justiz in Deutschland ist zu Recht und mit Überlegung aufgetragen, ausschließlich nur ihre Ermittlungstätigkeit an Fakten und nicht nach dem Unwohlsein der Beobachter oder Betroffenen auszurichten.
Von daher ist, ja, vollkommen unabhängig von der politischen Blickrichtung, alleine eine Überprüfung der weiteren Haft nach den Paragraphen der StPO und eben nicht nach Bauchlagen zu prüfen.
Schon die wenigstens vom öffentlichen Eindruck her rigorosen Festnahmen der - möglichen - "(Bei-)Helfer", die eher nach wildem Aktivismus wegen schlechten Gewissens aussahen, lösten bei ausschließlich rechtlicher Würdigung der - möglichen - im Umfang bis dahin unbekannten Beihilfe, doch Befremden aus.
Bei allen Schmerzen die die Umstände um diese Gruppierung auslösen, haben wir dem Gleichgewicht unserer Gesellschaft wegen uns diese rechtlichen, für alle und alles verbindlichen Grundlagen gegeben!
Die auf mich schleichend wirkende Übertünchung dieser Tatsachen in unseren Medien, macht mir immer wieder mehr Angst für´s Ganze als die beklagenswerten Opfer und ihre Angehörigen.
mit freundlichen Grüßen
Bernd Baron
befindlichkeit
Gast
wenn in diesem artikel ständig von "terrorist" und "terrorgruppe" geredet wird, dann befinden wir uns damit auf der schleimspur von herrn friedrich.
kommt mir ziemlich unreflektiert vor ...
Mauermer
Gast
Die angeblichen Zeugen bzw. Unterstützer brechen nacheinander weg, bzw. es kann ihnen nichts nachgewiesen werden.
In einem Rechtsstaat müssen auch Angehörige von Opfern damit rechnen, dass Ermittlungen nichts ergeben bzw. wie hier das gewünschte! Ergebnis nicht erbringen. Nur weil jemand über das notwendige Wissen oder die Fähigkeiten verfügt, ist er nicht automatisch auch der Täter. Die Beschuldigten sind daher frei zu lassen.
Jetzt gibt es wieder zwei Möglichkeiten, entweder die Beweise reichen einfach nicht aus oder es wurde wieder einmal gegen die Falschen ermittelt, sonst hätte man ja ausreichende Beweise gefunden.
vic
Gast
Der NSU-Freundeskreis reicht bis in staatliche Institutionen. Man kennt, schützt und mag sich.
Weiße Rose
Gast
Was soll schon eine Justiz hervorbringen, die selbst ihre Wurzeln in der Feudalherrschaft hat?
Mitleser
Gast
Nur fürs Protokoll:
Es gibt kein Bekennervideo. Jedenfalls hat noch nie ein Mensch ein Bekennervideo gesehen.
Anno
Gast
Ich empfehle die Lektüre von § 112 der Strafprozessordnung!