schaut sich in den Galerien von Berlin um

MEIKE JANSEN

Leute, beeilt euch! Um zwölf kommt der Beton …“, titelt Martin Kippenberger auf einem Plakat 1978 für eine Ausstellung in Kippenbergers Büro am Segitzdamm. Ein zeitloser Spruch, und dennoch fühlt es sich an, als wenn 2013 so kurz vor zwölf ist, wie schon seit Jahren nicht mehr. Denn alles ist ja super oder zumindest auf dem Weg dahin. Klaro! Es dürfte also kein Zufall sein, dass ausgerechnet dieses Plakat die Serie von Ausstellungsankündigungen innerhalb der Kippenberger-Retrospektive im Hamburger Bahnhof eröffnet. Nur woran liegt es, dass heute nahezu ausschließlich der in der Öffentlichkeit besonnene Vertreter der Kunst Erfolg hat? Wo sind die Rebell_innen? Und warum, trotz Genderschnack und -wissenschaft, sind es immer noch heterosexuelle Herren, die gerade in Deutschland für Furore in der Kunstwelt sorgen? Wo sind die dominanten Künstler_innen, die erwachsenen Riot Ladys? In Russland gibt es immerhin Pussy Riot und in der Ukraine die Schönheiten von Femen (femen.org/), die ihre Reize einsetzen, um männliche Machtsysteme zu entlarven. In der bundesdeutschen Republik bleibt es dagegen jenseits von Solidaritätsaktionen und -bekundungen ruhig. Sicherlich geht es uns hier gut oder zumindest besser als vielen Menschen anderswo. Aber so recht mag das doch auch niemand mehr entschuldigend hinehmen. Oder ist es ausreichend, sich immer nur um seine eigene Achse zu drehen? Kippenberger war sicherlich kein ausgemachter Freund der Frauen oder Homosexuellen. Trotzdem ist es unglaublich, mit welcher Leichtigkeit er Forderungen und Statements formulierte, die in eine gute Richtung agitierten.Wahrlich nicht diplomatisch, dafür zumindest lauter als die Richter unserer Zeit und intelligenter als Bildungsbürger wie Meese. Ach ja, die Frauen, die Homosexuellen, Hermaphroditen und Transsexuellen … Eigentlich sollte die geschlechtliche Ausrichtung kein Thema im Job und überhaupt sein. Soll doch jede_r froh werden, solange die Partner_innen nicht gegen ihren Willen agieren müssen. Solange aber ein starkes Ungleichgewicht in Rechten, Stand und Respekt herrscht, werden Machtgefüge auch über geschlechtliche Koordinaten beleuchtet werden müssen. Seid tapfer! Auch die Heterosexuellen, die sich solidarisch zeigen und in nicht minder eklige Sippenhaft genommen werden. Kippenberger lebte in einer anderen Zeit. Es wäre spannend, ein Update seiner eigenen Perspektive von ihm zu bekommen. Daraus wird nichts mehr. Also weg mit den Todschlagargumenten und falschem Ekel und sich eigene Gedanken gemacht! Der Umweg geht leider trotzdem übers Museum.

■ Martin Kippenberger: „sehr gut, very good“. Di.–Fr. 10–18 Uhr, Do. 10–20 Uhr, Sa.+So. 11–18 Uhr, Hamburger Bahnhof, Invalidenstr. 50–51)