ORTSTERMIN: AUF EINER REPTILIENBÖRSE IN HAMBURG-WILHELMSBURG
: Frostmäuse für die Lieblinge

Ein Mann steht vor dem Bürgerhaus und trägt eine Box aus Styropor. „Da ist ’ne Tigerpython drin“, verrät er, tippt auf den Kasten und grinst, eben hat er die Schlange für einen dreistelligen Betrag bei der Reptilienbörse gekauft, die am vergangenen Sonntag Terraristik-Fans nach Wilhelmsburg lockte. „Den Tieren in dieser Börse geht’s super, is’ ja auch warm da“, sagt der Mann mit der Python – als sei ein beheizter Raum alles, was Reptilien und Amphibien brauchen, um sich wohl zu fühlen.

Tatsächlich, im Bürgerhaus ist es warm, die Luft stickig. Auf den 640 Quadratmetern tummeln sich dutzende Besucher und glotzen auf Geckos, Pythons und Spinnen, die man hier kaufen kann. Die Tiere sind in Boxen, die so aussehen, als könne sich in ihnen auch ein Fertiggericht befinden, auf den Deckeln stehen die Kaufpreise. Weiter hinten gibt’s Mäuse aus der Kühlbox und Maden, Ameisen oder Grashüpfer en masse.

All das, was hier zu sehen ist, sei ein Skandal, findet die Tierschützerin und Künstlerin Odette El Ibiary, die sich einige Wochen zuvor beim Bürgerhaus Wilhelmsburg über die Reptilienbörse beschwert hatte. „Tiere sind keine Handelsware! Auch sie haben Gefühle und leiden“, sagt sie. El Ibiary fordert, dass es bald eine Podiumsdiskussion zu dem Thema Tierschutz im Bürgerhaus geben soll, in der sich Kommunalpolitiker dazu äußern. „Es geht mir dabei nicht nur um die Börse“, sagt El Ibiary, „sondern um unser Bewusstsein. Tiere sind genauso viel wert wie wir.“

Michael Millert kann diese Aufregung indes nicht nachvollziehen, die Vorwürfe seien haltlos. Er ist der erste Vorsitzende des 2005 in Hamburg gegründeten Vereins „Terrarien Freunde“ und Mitveranstalter der Reptilienbörse. Er sitzt am vergangenen Sonntag im Foyer des Bürgerhauses. „Wir regen uns über alles Mögliche auf, fangen aber nicht da an, wo wir eigentlich müssten“, sagt Millert. „Nämlich beim täglichen Fleischverzehr.“ Auch sei der Begriff Börse ein typisch Hamburgischer Begriff, an ihm sei nichts auszusetzen. „Es gibt doch auch Kuh- und Pferdebörsen, nur würde da nie ein Mensch drauf kommen, den Begriff in Frage zu stellen.“

Gewiss verschenke hier niemand Tiere, sagt Millert, der auch Öffentlichkeitsarbeiter seines Vereins ist. „Schließlich wurden die Zuchttiere mit Liebe aufgezogen, da will man auch was dafür haben“. In gewissen Grenzen könne man verhandeln, „aber nicht so weit, dass Tiere hier verramscht werden.“

Anschließend macht Michael Millert einen Rundgang über die Börse; zeigt jeden Gecko, jeden Python, jede Spinne. „Gucken se, die Tiere sind ganz ruhig, bewegen sich nicht.“ Er tippt mit seinem Finger auf den Deckel einer Schachtel, in der ein grüner Gecko sitzt. Dieser guckt nach oben. Wäre es nervös, würde er jetzt wild umher rennen, sagt Millert.

Doch dann passiert etwas, womit er nicht gerechnet hat; und schuld ist die Bild. Eine Traube Menschen bildet sich, Kinder kreischen vor Aufregung, denn: Ein Chamäleon tappst auf den Schultern eines Mannes, neben dran kniet ein Fotograf der Bild-Zeitung und drückt fleißig auf den Auslöser – ein Blitzlicht jagt das nächste. Da das jetzt leider nicht ins Bild einer tierfreundlichen Börse passt, unterbinden die Veranstalter das sofort und bitten den Fotografen darum, die Fotos zu löschen.

Nochmals betont Millert, dass Reptilienbörsen keine Tierquälerei seien. Diejenigen, die das behaupten, seien „Blinde, die von der Farbe reden“. Und sowieso: „Bei Tierquälerei ist immer die Frage: Wo fängt’s an, wo hört’s auf?“ Die Börse sei doch gut für Wilhelmsburg, das nicht gerade Hamburgs privilegiertester Stadtteil sei. „Hierher kommt dann Otto Normalverbraucher zum Gucken“, sagt Millert. „Und manche kaufen auch nur eingefrorene Mäuse für ihre Lieblinge.“ Oder Tigerpythons in Styroporboxen.  AMADEUS ULRICH