Liebe über das Internet: Der Kuss der Zukunft

Röhrchen lecken und Schweinchen knutschen: Küssen über das Internet ist nicht mehr reine Illusion. Aber ein bisschen romantischer dürfte es schon sein.

Ob aus einem Fisch auch ein Prinz wird? In der Zukunft ist alles offen. Bild: Jo.Sephine/photocase.com

Es gibt diesen sagenhaft letzten Moment. Fünfter Akt, dritte Szene: Julia erwacht aus ihrem Schlummer und findet ihren Geliebten Romeo tot auf. Die Nähe und Distanz der beiden Figuren – erschlagend. Und bevor sich Julia den Dolch in die Brust rammt, ist da dieser Kuss, der ihre Liebe unsterblich macht.

Küsse haben schon so vieles bewegt: Dornröschen wurde aus ihrem Schlaf wachgeküsst, durch einen Kuss wurde aus einem Frosch ein Prinz und dann noch der Kuss aus „Casablanca“. Hmmm. Liebende müssen oft warten. Genau an diesem Punkt setzt die Firma Lovotics an. In Zukunft sollen Liebende nicht mehr warten müssen, auch wenn sie räumlich voneinander getrennt sind.

Die Antwort lautet: Küsse via Skype. Das auf künstliche Intelligenz spezialisierte Unternehmen hat in Zusammenarbeit mit der Nationaluniversität Singapur und der Keio Universität in Japan ein Roboterpärchen entwickelt, das es Liebenden ermöglicht, über das Internet zu küssen.

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Konkret sieht das so aus: ein dicker Schmatzer auf übergroße Silikonlippen eines kleinen runden Schweinchenroboters. Wenig romantisch. Aber damit soll die physische Kluft bei Fernbeziehungen überwunden werden. Die Roboter imitieren und transferieren die Lippenbewegungen des jeweils anderen. Also, wenn einer das eine Schweinchen küsst, gibt das andere Schweinchen den Kuss weiter.

Küsse und Kuriositäten

Für den FU-Professor für Artifizielle Intelligenz Raúl Rojas klingt das sogenannte E-Kissing nicht nach einem Zukunftstrend: „Das ist alles Spielerei. Die Idee, Sex oder Küsse über das Internet zu übertragen, ist schon sehr alt, aber bislang wurden nur Kuriositäten hervorgebracht.“ Dazu gehört wohl auch die Erfindung einer japanischen Forschergruppe, die sich ebenfalls das Ziel gesetzt hat, Menschen in einer Fernbeziehung zu helfen.

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An der Universität für Elektrokommunikation in Kajimoto tüfteln sie an der Möglichkeit, Küsse gefühlsecht über das Internet zu übermitteln. Dazu gehört anders als bei den Schweinchen ordentlicher Speicheleinsatz.

Ein Prototyp ist im Jahr 2011 entstanden. In einem Video erklärt der Forscher Nobushiri Takashi mit Zungeneinsatz, wie die Kussmaschine funktioniert. Zu sehen ist ein kleiner Kasten, aus dem ein krummes Plastikröhrchen ragt. Nimmt man es in den Mund und bewegt die Zunge, so werden die Bewegungen an das zweite Kästchen übertragen. Liebende können so von ihrem Apparat aus die Bewegungen des anderen beeinflussen. Der FU-Professor Rojas lacht: „Das ist ekliger, als dass es irgendwem etwas nutzt. Ich glaube nicht, dass man so etwas ernsthaft kommerzialisieren kann.“

Die Kulturanthropologin und Sexualwissenschaftlerin Ingelore Ebberfeld sieht neben dem Unterhaltungseffekt dieser Erfindungen auch einen ernsthaften Ansatz, sich diesem Thema zu nähern. „Die Idee dahinter, seinem Partner etwas Persönliches von sich zu übermitteln, ist nicht neu. Schon in früheren Zeiten hat man Liebesbriefen eine Haarlocke zugefügt oder die Briefe parfümiert, um etwas Intimes, was zwischen zwei Liebenden stattfindet, zu übermitteln.“

Errungenschaft oder emotionale Verarmung?

Das Besondere in der Liebe zeige sich meist in einem Mangel an. Sehnsucht sei das, was die Spannung in der Liebe aufrecht erhalte. „Wenn wir heute per Skype und mit Webkameras kommunizieren, suggeriert es zunächst, dass man sich irgendwie näher ist,“ sagt Ebberfeld, „aber die Frage ist vielmehr: Kann man ernsthaft daran glauben, dass die künstliche Welt die emotionale Ebene ausschöpfen kann?“

Ebberfeld befürchtet, dass mit der fortschreitenden „Entfleischung“ auch eine emotionale Verarmung einhergeht. „Warum brauchen wir Ersatzhandlungen durch Geräte, die von Firmen entwickelt worden sind, die Geld damit verdienen wollen?“ Folgt man den Gedanken der japanischen Forscher, kommen tatsächlich Bedenken auf, ob diese sich tatsächlich der Liebe verpflichtet fühlen. Den entwickelten Prototyp der Kussmaschine schätzen sie verbesserungswürdig ein. Das Ziel sei, dem Gefühl des echten Kusses so nah wie möglich zu kommen.

Dafür sollen zukünftig auch Geschmack, der Atemrhythmus und die Feuchtigkeit der Zunge miteinbezogen werden, so Forscher Takashi. Wenn das gelänge, sieht er bereits eine tolle Vermarktungsstrategie. Denn die entschlüsselten Kussdaten können gespeichert und jederzeit wieder abgespielt werden. „Wenn zum Beispiel ein Popstar dieses Gerät benutzt und seine Kussbewegungen aufnimmt, könnte es ein Riesenerfolg werden, wenn er diese Daten seinen Fans zur Verfügung stellt.“

Die Aussicht der Kussmaschine

Glaubhaft wirkt diese Vision noch nicht. Ebberfeld wundert es auch nicht, dass die Kussmaschine aus Japan stammt: „Auch Sexualität schöpft sich aus kulturellen Besonderheiten. Und vielleicht hat in Japan der distanzierte öffentliche Umgang miteinander damit zu tun, dass ausgerechnet hier die Kussmaschine erfunden worden ist. Dort verbeugt man sich voreinander, um sich zu begrüßen. Indes geben sich Europäer die Hand, nehmen sich in den Arm oder Küssen sich sogar dabei.“

Ob die Kussmaschine tatsächlich in Zukunft erfolgreich ist, ist schwer abzusehen. Seit der Erfindung des Internets ist eine Verlagerung der persönlichen Kommunikation hin zur Onlinekommunikation zu beobachten. Für Ebberfeld klingt das dennoch nicht überzeugend: „Wenn ich die Wahl habe zwischen etwas Echtem und etwas Automatisiertem, ist meine Wahl klar.“

Lieber das Geld in einen Flug investieren statt sich ein Computerschweinchen anschaffen, lautet daher ihr Vorschlag. Das klingt überzeugend. Es muss ja nicht gleich werden wie bei Shakespeare, aber ein bisschen romantischer dürfte der Kuss der Zukunft schon sein.

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