Schicksal: Geschichten, die das Netz schreibt

Das Internet hilft, Familiengeheimnisse aufzudecken: Ein Hobby-Cowboy findet seinen Bruder. Eine Tochter findet den Retter ihres Vaters.

Berlin ist bis heute voller geheimer Geschichten. Bild: Richard_of_England/CreativeCommons BY 2.0

Es gibt Reportagen und Berichte in der Zeitung, die Fragen aufwerfen, ohne Antworten zu geben. Es sind Geschichten, die stehenbleiben an einem Punkt X, weil die Verbindungen fehlen, weil sie ins Unbekannte hineinfragen, ins Unvollständige.

Diejenigen, die die Geschichten weiterschreiben könnten, wissen gar nicht, dass jemand sie schon bis zum Punkt X getrieben hat. In Bibliotheken zu suchen wäre zwecklos. Sie wüssten nicht, wo sie suchen sollten.

Doch dank des Internet können solche Geschichten mitunter doch weitergehen. Mit den Suchmaschinen haben die Leute, die ein fehlendes Puzzleteil finden wollen, ein mächtiges Instrument zur Verfügung. Damit gelang es Evelyn Grossman etwa, etwas über Paul und Helene Pissarius herauszufinden - ein Ehepaar, das Grossmans jüdische Großeltern und deren Sohn im Krieg zweieinhalb Jahre lang bei sich in der Berliner Hinterhofwohnung versteckte.

Fündig wurde auch Rosi Walz, die nicht locker ließ, weil sie wissen wollten, wo der verschollene Bruder ihres Mannes ist. Der war den Eltern 1960 von DDR-Grenzbeamten abgenommen worden, als diese in die BRD fliehen wollten. Der Junge war das Faustpfand. Weil die Eltern nicht zurück kamen, wurde der Junge zur Adoption freigegeben.

Über Walz und ihren Mann wurde in der taz berichtet, weil sie die Hälfte des Jahres Cowboys sind: Sie lebten am Rande von Berlin in einem Westerndorf, als wäre es echt. Als über ihre Cowboyliebe geschrieben wurde, kam auch der verschollene Bruder zur Sprache. Rosi Walz zog einen Zettel mit dessen Namen aus dem Portemonaie: „Rolf-Jürgen Walz heißt der Bruder. Ist am 4. 4. 1958 geboren. Vielleicht kennt ihn ja wer."

Es dauerte fünf Wochen, dann kam eine Mail an die taz: „Ich kenne Rolf-Jürgen, geb. 04. 04. 58. Er ist mein Ehemann und schon ganz lange auf der Suche nach seinen Eltern und Geschwistern. Helfen Sie mir bitte!“ Die Absenderin hatte den Artikel im Netz gefunden.

Evelyn Grossman dagegen war im ersten Augenblick sauer, als sie einen taz-Artikel über Paul Pissarius fand. Denn ihr Vater hatte beharrlich über das, was zwischen 1943 und Mai 1945 geschah, geschwiegen. Das sei doch ihre Geschichte gewesen, sagt sie, ihre allein: Zweieinhalb Jahre, drei Juden, einer stirbt. Sie werfen ihn in die Spree. „Jemand hat das Schweigen meines Vaters gebrochen. Wie kommt die dazu? Zuerst war ich sauer auf die.“ Sie sagt es mit einer sanften, entschuldigenden Stimme.

Der Schock dauerte nicht lange. Denn Grossman hatte ja schon ihr Leben lang nach den Eheleuten Pissarius gesucht. Sie wollte Kontakt zu Nachkommen von ihnen. Sie wollte dieses Ehepaar ehren, wenn auch posthum, das ihren Vater im Krieg gerettet hatte. Ihre Großmutter hatten sie auch gerettet, trotz der vielen Streitereien, die es wohl zwischen den Geretteten und den Rettenden in der engen Berliner Hinterhofwohnung gab.

Im Sommer 2010 fand Grossman den zwölf Jahre alten Artikel - im Internet.

Wie die Geschichte weiterging, steht in der sonntaz vom vom 31. März/1. April. An jedem gutsortierten Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz..

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