Video der Woche: Eat it don't tweet it

Oliven-Banette mit Bio-Cheddar auf Feigen-Chutney hört sich schon so an, als wäre es für ein Facebook-Foto gemacht und nicht für den Magen. Eine Karikatur der hippen Food-Pornography.

Let's talk about food, baby! Bild: Screenshot: Youtube

Engbehoste Hipster mit dicker Mütze und dicker Brille dienen manchem Mitbürger längst als wandelndes Feindbild im urbanen Raum. Latent verantwortlich für Gentrifizierung, Symbol für die Erodierung hegemonialer Männlichkeiten und damit einhergehend für den Niedergang des Westens an sich. Nüchtern betrachtet ist der Hipster womöglich einfach nur zum Feindbild geworden, weil er aufgrund seines Äußeren einer Gruppe zuzuordnen ist, die man hassen kann, so wie alle anderen identifizierbaren Gruppen auch gehasst werden. Labeln, hassen, posten: Ein besinnungsloser Vorgang, der nur einiger Sekunden bedarf.

„Eat it don’t tweet“ ist durchdachter, hübsch bösartig: Es karikiert unter anderem das Zeitgeistphänomen der Food-Pornography, das Gastro-Äquivalent zur Cam2Cam-Masturbation: So wie man lieber vor dem Bildschirm onaniert, anstatt sich auf reale Körperkontakte einzulassen, werden besonders lustspendende und daher unmoralische Lebensmittel lieber fotografiert und gepostet als aufgegessen.

Die Foie Gras ist ein Politikum und der Cupcake unverträglich da nicht Gluten-frei. Die gebildete Mittelschicht hat sich diverse modische Essstörungen zugelegt, die den klassenbedingten Zwang zur Schlankheit orchestrieren: Intoleranz gegenüber Laktose, Fructose, Gluten, Farb- und Zusatzstoffen. Wenn Bier, dann nicht pasteurisiert, wenn Wein, dann Bio. Ananas nur aus regionalem Anbau, Fleisch nur an Sonntagen – und wenn es nicht zum Veganismus reicht, dann bleibt nur der profane Wald- & Wiesen-Vegetarismus.

Gammelfleisch von KZ-Hühnern

Geht der oder die Essgestörte abends an einem Döner essenden Angehörigen der neuen Unterschicht vorbei, scheut er oder sie sich nicht, diesem fast ins Fladenbrot zu kotzen: „Iiih, guck mal, der isst Gammelfleisch von KZ-Hühnern“. Labeln, hassen, posten.

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Im Alltag bleibt der essgestörten Mittelschicht oft nichts übrig, als Reispuffer zu verzehren, die nach Dämmstoff schmecken und nur an hohen Feiertagen mit Meersalz versetzt sind. Der Rest ist Pornographie: Jede Bahnhofsbuchhandlung quillt über vor hochglänzenden, hochpreisigen Fress-Magazinen und im Fernsehen wurde Dolly Buster von Lea Linster abgelöst, „eat it“.

Die Mahlzeit, sie wurde ihrer Alltäglichkeit entkleidet wie der Sex, die Liebe und die Elternschaft. Keine Therapie nirgends, es sei denn, man entschlösse sich auch im Alltag mal zu einer Tasse Filterkaffee oder zu einem Abendbrot am heimischen Küchentisch, mit Graubrot und Cervelatwurst. Die Wirklichkeit: Viel geschäumte Milch und Oliven-Banette mit Bio-Cheddar auf Feigen-Chutney für 7.95 Euro.

Der Hipster an sich kann jedoch nichts dafür, er ist nur ein Opfer des Zeitgeistes, den zu transportieren er ohnmächtig nicht umhin kommt, weil er sich in ihm treiben lässt wie ein Thunfisch im Schwarm: Es ist jetzt nun mal so, das man sich selbst und seine Umgebung permanent digitalisiert und im Anschluss publiziert. Es geht darum, sich selbst zu spüren und ein Gefühl von Verbundenheit herzustellen, publish or vanish. Aber damit verhält es sich so wie mit dem Betrachten von Food-Photography bzw. Pornography: Man wird nicht satt.

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