Einkaufsgemeinschaften in Berlin: Gemeinsam shoppen ist out

Manche Einkaufsgemeinschaften sind mehr als 20 Jahre alt, ihre goldenen Zeiten scheinen jedoch vorbei: Im Wettbewerb der Bioläden wird es eng für die Foodcoops.

Vielen Kunden ist es leider wurst, wo sie einkaufen. Bild: dpa

An diesem Mittwoch ist Frieda Grabner mit Ladendienst dran. Ab acht Uhr hat sie auf den Anruf des Lieferanten vom Großhändler gewartet, jetzt steht sie vor dem Kellereingang eines Wohnhauses in der Nähe des Neuköllner Schifffahrtkanals. Wenn die Lieferung eintrifft, muss sie die Waren in Empfang nehmen, um sie anschließend mit einem Helfer auszupacken, auszupreisen und einzuräumen.

Von der Tür mit dem vergitterten Fenster führt eine Holztreppe in einen kleinen Raum hinunter, der wie ein ordentlicher, altmodischer Laden aussieht: Ein paar Kisten mit Äpfeln, Orangen, Kartoffeln und Zwiebeln stehen auf einem Tisch, daneben steht eine Waage. An der Wand hängt eine Tafel mit Preisen, Trockenlebensmittel reihen sich in den Regalen an den Wänden. Ein Laden im eigentlichen Sinne ist dies aber nicht – es ist der Lagerraum der Foodcoop Neukölln.

Die Einkaufskooperative für Biolebensmittel ist beinahe ein Vierteljahrhundert alt: 1987 wurde sie gegründet, bis heute läuft sie gut. Wer neu einsteigen will, muss mit zwei Jahren Wartezeit rechnen. Jeden Monat überweisen die 45 Mitglieder einen festen Beitrag – dafür haben sie ihren eigenen Schlüssel für den Laden und können sich rund um die Uhr zu günstigen Preisen mit Biolebensmitteln eindecken. Sie kaufen fast ausschließlich hier ein, berichten etwa Andreas Lorenz und Ilse Eilrich, seit mehr als zehn Jahren Mitglied der Foodcoop Neukölln.

Formal betrachtet ist die Foodcoop eine GbR, gefühlt ist sie eher eine große Familie. Gewinn macht hier niemand. „Wir kaufen nur für den Eigenbedarf ein, nicht zum Weiterverkauf“, erklärt Ilse Eilrich. Die Raummiete wird von den Mitgliedern gemeinsam bezahlt, außerdem müssen alle in bestimmten Abständen Dienste übernehmen.

Schleichende Auflösung

Foodcoops gehörten zu den Pionieren der ökologisch bewussten Konsumgesellschaft. Die ersten Kooperativen entstanden allerdings bereits im 19. Jahrhundert: Die erste wurde im Jahr 1844 im englischen Rochdale von 28 Webern gegründet, die sich günstiger mit Lebensmitteln versorgen wollten. Aber erst die Umweltbewegung des 20. Jahrhunderts ließ das Modell der Einkaufsgemeinschaft aufblühen, erst in den USA, dann auch in Deutschland. In Westberlin gab es in den besten Tagen rund 50 Foodcoops. Mit der Wende und dem späteren Aufschwung von Bioläden und -supermärkten begann die schleichende Auflösung der Kooperativen. Heute gibt es nur noch ein knappes Dutzend Foodcoops in der Hauptstadt.

Einer der letzten überlebenden in Kreuzberg droht jetzt die Auflösung. Die 1991 gegründete Foodcoop im Bergmannkiez hat einst den Ökomarkt auf dem Chamissoplatz hervorgebracht – jetzt macht der Markt der Coop Konkurrenz. Mit weniger als zehn teilnehmenden Haushalten sind die Preise auch nicht mehr so günstig. „Der Erfolg einer Foodcoop ist stark abhängig von ihrer Lage“, sagt Daniela Schranz-Beer, Mitglied der Coop. Und zu der gehören im gentrifizierten Bergmannkiez inzwischen mehrere Bioläden und eine Bevölkerung, der das Geld lockerer sitzt als noch vor 20 Jahren. „Foodcoops sind günstig, aber aufwendig. Viele Leute machen sich die Mühe nicht mehr, um ein bisschen zu sparen“, sagt Schranz-Beer.

Immerhin: Seit sich die Lebensmittelskandale häufen, ist wieder ein zunehmendes Interesse am selbst bestimmten Einkaufen spürbar. Die Neuköllner Foodcoop FC Schinke09, im Jahr 2004 von Studierenden gegründet, tritt im Netz als Bestellcoop an. Nicht weniger als 97 Haushalte machen mit und geben ihre Bestellwünsche online ein, um die Waren dann zu bestimmten Uhrzeiten im Lagerraum abzuholen.

Gerade noch reingerutscht

Nach FC Schinke09 hat es allerdings keine Neugründung mehr in Berlin gegeben. Das liegt auch daran, dass es für kleine Kooperativen immer schwieriger wird, einen Vertrag mit Großhändlern wie Terra Naturkost zu bekommen. „Wir sind sozusagen im letzten Moment noch reingerutscht“, sagt Mareike Hagemann, Mitgründerin der FC Schinke09. Denn Terra beliefert seit ein paar Jahren nur noch Einzelhändler. „Um als Großlieferant unseren Kunden keine Konkurrenz zu machen, haben wir uns entschieden, keine Foodcoops mehr aufzunehmen“, erklärt Burkhardt Paschke von Terra. „Die Biolandschaft hat sich in letzten Jahren völlig geändert, Foodcoops gibt es immer weniger.“ Alte Kunden wie die Foodcoop Neukölln haben versucht, Druck auf Terra auszuüben – ohne Erfolg.

„Die Vorstellung, dass Foodcoops den Bioläden die Kundschaft wegnehmen, ist einfach falsch“, sagt Coop-Kunde Andreas Lorenz. „Die Coop entwickelt die Kundschaft für später.“ Viele Mitglieder seien Studenten, die zwar Bio einkaufen wollten, es sich aber ohne die besonders günstigen Preise der Kooperative zunächst nicht leisten könnten. Das ändere sich meist im Laufe der Jahre.

Derweil schmiedet die FoodCoop Neukölln neue Pläne: Auf den monatlichen Plena, die im Wohnzimmer eines der Mitglieder stattfinden, wird gerade über „Patenhühner“ debattiert. Man könnte sie auf einem Bauernhof in Brandenburg halten lassen und die von ihnen gelegten Eier abkaufen. Aber wie viele Hühner sollten es sein? Und was geschieht mit ihnen, wenn sie keine Eier mehr legen? Könnte die Foodcoop, der viele Vegetarier und Veganer angehören, die Schlachtung der Tiere verantworten? Langweilig zumindest wird es für die Gruppe auch in Zukunft nicht.

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