mitschriften aus der letzten reihe (vier)
: Planetarische Klänge auf einer tibetanischen Tupperware-Party

Kaum hat man die Tür der Wilmersdorfer Buchhandlung „Zenit“ durchschritten, wird man schon grell vom Deckenlicht angeleuchtet. Umkehren lässt sich auch nicht mehr, so leer ist es vorne in dem Verkaufsraum und so energisch lockt dabei noch die Verkäuferin zum Vortrag ins Hinterzimmer.

„Zenit“ bietet dem esoterischen Menschen alles, was Körper und Geist und Weltall zusammenführen könnte: ganzheitliche Beratungsliteratur, religiöse Bücher aller Art, Horoskop-Comics, Tarotspiele, Sternenklänge auf CD, Duftstoffe zum Selbermischen. Heute hat der Laden für sieben Euro noch einen „Abend mit tibetanischen Klangschalen“ parat, auf den die meisten Wilmersdorfer Esoteriker aber gut und gern verzichten. Gerade mal fünf sind gekommen, um etwas in sich zum Klingen zu bringen.

Meditationsexperte und Klangschalenmeister Georg Müller lässt sich von so wenig Interesse nicht irritieren. Ihm geht es neben der Sache um jede gute Seele. Zwischen Thermoskannen, Adventsgebäck und Blumengirlanden hat er Messingschalen in allen denkbaren Größen aufgebaut. Doch bevor die klingen dürfen, muss Müller eine Menge berichten. Er nickt den Hörern aus einem Korbstuhl freundlich zu, reibt seine Socken aneinander und beginnt im Jahr 1970.

Es ist das Jahr, in dem er mitten in Indien zehn Tage mit anderen schwitzenden Europäern das Meditieren lernt. Am elften Tag bucht Müller den zweiten Kurs, hört wieder die vom Guru in der Mitte des Raumes geschlagenen Klangschalen tönen, öffnet sich kurzerhand den Weg in die Trance und bleibt gleich noch die nächsten zehn Jahre vor Ort. Da staunen die Wilmersdorfer.

Ganz vorn hat sich eine junge Studentin platziert und hängt mit leuchtenden Augen an Müllers Lippen. Ab und zu dreht sie sich zu den anderen Zuhörern um und strahlt, als bräuchte sie Hilfe, um das alles zu fassen. Dabei geht es jetzt erst richtig los. Denn was Müller über seine Schalen verrät, lässt auch die Gläubigsten unter den Hoffnungsvollen schaudern. Müller weiß: Schlägt man die Schalen mit dem zugehörigen Klöppel an, entstehen Töne, die auf keiner westlichen Tonleiter zu finden sind. Stattdessen entstehen genau jene Töne, die zu hören wären, wenn die Umlaufbahnen der Planeten im Universum Saiten eines riesigen Instruments wären, über die man mit einem noch viel riesigeren Bogen streicht.

Spätestens jetzt trägt die Buchhandlung „Zenit“ ihren Namen zu Recht. Diese unscheinbaren Schalen, die der Laie bisher vielleicht nur als aparte Deko kannte, sollen tatsächlich die Welt bedeuten. Klingt verrückt, ist aber so – Müller legt dafür seine Hand aufs Herz. Das muss er auch. Seit seiner Rückkehr leitet er einen mittlerweile florierenden Klangschalenhandel in München. Als Klangschalenreisender tourt er regelmäßig durch den Rest der Republik, um dem Westen ein bisschen von dem zu bringen, was er selbst im Fernen Osten erfahren hat.

Nicht nur die Studentin scharrt nun mit den Füßen. Auch die anderen Damen wollen endlich selbst eine Schale klöppeln, um den ganz persönlichen planetarischen Klang fürs gute Karma herauszufinden. Mars mit Jupiter. Oder eine Schale Uranus. Müller führt sie alle vor und kann sie alle nur empfehlen. Und so wird aus dem Klangschalenabend noch eine veritable tibetanische Tupperware-Party. Wenn man jetzt das Weite sucht, denkt man, dann hat man gute Chancen, dass es vor lauter Klangschalenläuten keiner so richtig bemerkt. WIEBKE POROMBKA

Eine Bildungskolumne – in Zeiten von Wissensgesellschaft und strategischer Selbstbewirtschaftung ein Muss. Immer mittwochs im Zweiwochenrhythmus – bis zum Semesterende.