LEISTUNGSSTEIGERUNG: Hilferufe an Herrn Hansen

In den Akten des Untersuchungsausschusses liegen Briefe, die die Lage in der Neonatologie des Klinikums Mitte und auf den Kinderstationen beschreiben.

Diethelm Hansen, beurlaubter Chef der Gesundheits-Holding. Bild: dpa

Warum die Intensivstation der Neonatologie im Klinikum Bremen-Mitte (KBM) ihr Hygiene-Problem nicht in den Griff bekommen hat, das möchte nicht nur der Untersuchungsausschuss gern verstehen. Bisher hat er viele befragt, die weit weg waren von der Station 4027, um die es geht, und aus Angst vor dienstrechtlichen oder strafrechtlichen Folgen haben manche, die etwas wissen könnten, ihre Aussage verweigert. In den beschlagnahmten Unterlagen gibt es aber einen umfangreichen Briefwechsel über den Zustand in der Kinderheilkunde, mit dem in dieser Woche der Holding-Chef Diethelm Hansen im Ausschuss konfrontiert wurde.

In den heißen Wochen der Infektion, in denen die Station eigentlich das Gesundheitsamt hätte informieren müssen, hat der leitende Oberarzt der Neonatologie, Georg Selzer, mehrere Mails geschrieben, in denen er von „Verzweiflung“, „Frust“ und „Hilflosigkeit“ spricht. Es fehlte sowohl auf der ärztlichen wie auf der pflegerischen Ebene an Personal. An einem Wochenende im Juni zum Beispiel, stand die Geburt von Drillingen und Zwillingen an – „ich hoffe, dass die Kinder noch ein wenig auf sich warten lassen“, heißt es in einer Mail. Selzer musste mit dem Klinikum Links der Weser (LdW) Kontakt aufnehmen, das zur Not die Zwillinge übernehmen sollte – im Klinikum Mitte war kein qualifiziertes Personal zusätzlich zu mobilisieren.

Die „Pflegesituation auf der 4027 ist katastrophal“, hatte der leitende Oberarzt Peter Lasch Mitte April in einem Hilferuf nach oben geschrieben. Immer wieder müssten Aushilfskräfte von anderen Stationen kommen, die dort Lücken rissen, die Zahl der Pflegenden mit Intensiv-Ausbildung liege „unter 40 Prozent“. Bei der Auflösung der Neonatologie im Klinikum Links der Weser waren die dortigen Fachkräfte nicht ins KBM übernommen worden, sondern hatten sich „auf dem freien Markt“ etwas gesucht.

Mitte Juni formulierten die Assistenzärzte einen Brand-Brief – direkt an Hansen, den Chef –, alle „zuständigen“ Vorgesetzten schienen offenbar nicht relevant. Kräfte würden abwandern, weil die Personalsituation so knapp sei – und „wir werden keine hoch qualifizierten KollegInnen für unser Team zur Einstellung finden.“ Weiter heißt es da: „Wir alle lieben unseren Beruf, sind aber an einem Punkt angekommen, wo wir dies den kranken Kindern gegenüber nicht mehr verantworten können.“ Oberarzt Lasch hatte an fünf Wochenenden hintereinander zusätzlich zu seiner 5-Tage-Woche Sonderdienst gemacht.

In einem von Lasch, sechs anderen Oberärzten und Pflegeleitungen der Kinderkliniken unterzeichneten Brief vom August heißt es, dass die Zentralisierung der Neonatologie und Aufstockung der Bettenzahl „ohne entsprechende Personalanhebung“ passiert sei, es gebe „nicht genug und nicht ausreichend qualifiziertes Personal“, das sei „wiederholt“ vorgetragen worden, „hat aber nicht zu Konsequenzen geführt“. Das waren die Wochen, in denen der Keim sich auf der Neonatologie ausbreitete. Vier Wochen später – am 30. 9. 2011, der „Ausbruch“ des Keims war inzwischen an die Gesundheitsbehörde gemeldet worden, gab es eine kurze Antwort mit der Zusage, die Personalausstattung würde einer „Prüfung“ unterzogen.

Der Oberarzt Wolfgang Marg hatte schon im November des Jahres 2010 den Klinik-Chef Hansen in einem langen Brief gewarnt. „Pflegerische oder ärztliche Mangelbedingungen“, so schrieb er, würden zu „Qualitätsminderung“ führen und sich bei den Ärzten, die ihre Patientinnen an das Klinikum Mitte empfehlen sollen, herumsprechen.

Vor dem Ausschuss hat Hansen erklärt, er sehe es als normal an, wenn betroffene Ärzte sich in Phasen der Stellenreduzierung über höhere Leistungsanforderungen beschweren. Durch die Zentralisierung der Neonatologie seien im Klinikum Nord etwa 700.000 Euro Personalkosten gespart worden. Die „Leistungssteigerung“ sei im Jahre 2011 viel höher als geplant ausgefallen.

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