50 Jahre Jüdische Volkshochschule: Hebräisch für Anfänger

Zwischen Tradition und Aktualität: Die Jüdische Volkshochschule in Berlin feiert am Montag ihren 50. Geburtstag.

Das Jüdische Gemeindehaus in der Charlottenburger Fasanenstraße: Hier befindet sich auch die Jüdische Volkshochschule. Bild: roger4336 (CC BY-SA 2.0)

Es ist ruhig in der Charlottenburger Fasanenstraße. Der Lärm des Ku’damms, eine Ecke weiter, tritt in den Hintergrund, nur der Krach der S-Bahn, die in kurzen Abständen über das Viadukt rattert, ist zu hören. An die S-Bahn-Bögen grenzt das Gebäude der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, am Eingang sitzt in einem Glaskasten ein Polizist. Hier hat auch die Jüdische Volkshochschule (JVHS) ihren Sitz, die am Montag ihr 50-jähriges Bestehen feiert.

Hinter dem Eisentor steht eine große Steinplatte im Hof mit den Namen von Konzentrationslagern. Ins Gebäude gelangt man durch die Sicherheitskontrolle zwischen zwei Glastüren. Durch den Flur links, eine Treppe tiefer gibt es donnerstags „Jüdische Tradition“. Rimon Zilberg ist frischgebackener Judaist und leitet den Kurs mit acht TeilnehmerInnen. An diesem Abend geht es um die Frage, wer als Jude bezeichnet wird. Verkürzt erklärt, ist ein Jude oder eine Jüdin das Kind einer jüdischen Mutter oder jemand, der nach der Halacha lebt, den jüdischen Religionsvorschriften.

Doch bei Zilberg gibt es keine verkürzten Antworten. Um die Frage zu beantworten, erklärt er Zusammenhänge aus Geschichte, Sprache und Religion. Er will vermitteln, dass zum jüdischen Selbstverständnis mehr als die Assoziation mit der Schoah, dem Holocaust, gehört. Juden seien mehr als eine Schicksalsgemeinschaft. Es gebe in Deutschland oft noch Berührungsängste mit dem Begriff „Jude“. „ ’Jude‘ ist aber kein Schimpfwort“, sagt er.

Hierzulande hat das Judentum eine lange Tradition. Die älteste nachweisbare jüdische Gemeinde im deutschsprachigen Raum wurde im 4. Jahrhundert nach Christus verzeichnet. Da solche historischen Tatsachen wenig bekannt sind, hat sich die JVHS zum Ziel gesetzt, über Judentum und jüdisches Gemeindeleben zu informieren. „Zum Konzept der Schule gehört aber auch, dass hier Begegnungen und Gespräche über konfessionelle Grenzen hinweg möglich sind“, sagt die Leiterin, Sigalit Meidler-Waks. 1962 gründete Heinz Galinski, damals Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde, die öffentliche Bildungseinrichtung nach dem Vorbild der freien jüdischen Volkshochschulen, die es in Berlin bereits vor dem Zweiten Weltkrieg gab.

Meidler-Waks hat die Leitung der Volkshochschule im Juni 2009 übernommen. Sie versucht, neben der historischen Aufarbeitung der deutsch-jüdischen Geschichte auch politische und tagesaktuelle Ereignisse ins Programm zu integrieren. Vor ihrer aktuellen Tätigkeit war sie mehrere Jahre lang ehrenamtliches Mitglied des Kulturausschusses der Jüdischen Gemeinde. Es sei ihr ein besonderes Anliegen, sagt sie, zu zeigen, was zeitgenössische Autoren oder Künstler aus Israel bewege und dass es auch friedliche Entwicklungen im Nahen Osten gebe.

Die 48-jährige Kunsthistorikerin bedauert, dass die jüdische Kultur in Deutschland oft nur auf zwölf Jahre Nationalsozialismus reduziert werde: „Die Schoah ist ein Teil unserer Geschichte, aber ich will dieses Bild aufbrechen und zeigen, dass jüdische Kulturgeschichte mehr ist als die Verfolgung durch das NS-Regime.“

Das Ergebnis ist ein Programm, das nicht nur Sprachunterricht, sondern auch Literatur oder Musikseminare anbietet. Mehr als ein Dutzend Dozenten leiten über 40 Kurse. Auch Einzelveranstaltungen wie Buchvorstellungen, Filmvorführungen oder Podiumsdiskussionen gehören zum Angebot der JVHS. Dabei, so Meidler-Waks, gebe es regelmäßig Kooperationen mit verschiedenen Institutionen und Organisationen aus Politik und Kultur, um ein breites Publikum zu erreichen. Die Teilnehmer kämen aus allen Altersgruppen, seien unterschiedlicher Herkunft und ihre Motivation zur Teilnahme an den Veranstaltungen sei jeweils verschieden. Das lasse sich gut an den Deutschkursen beobachten, die ursprünglich für russische Zuwanderer eingerichtet wurden, aber inzwischen von Menschen aus Südamerika, Japan oder auch Italien besucht würden.

Liebe zum Orient

Unter den Kursen ist „Hebräisch für Anfänger“ besonders beliebt. Mittwochs unterrichtet Sylvia Powels-Niami, die ihre Liebe zum Orient bereits als Kind entdeckte. Mit 12 Jahren begann sie Hebräisch zu lernen, später studierte sie Semitistik, Arabistik, Islamwissenschaft und Judaistik. Im Unterricht erklärt sie immer wieder die Parallelen zwischen Hebräisch und Arabisch, die beide aus dem Aramäischen entstanden und sich strukturell gleichen. Deshalb besucht etwa die 35-jährige Silva Schröder neben dem Hebräisch- auch den Arabischkurs bei Powels-Niami. Die junge Ärztin bereist gern den Orient und findet es wichtig, einige Worte der Landessprachen zu beherrschen. „Das schafft einen besonderen Zugang zu den Menschen“, sagt sie. Die Dozentin, die bereits an Universitäten in Israel und Ägypten gelehrt hat, regt in ihrem Unterricht auch stets dazu an, den Orient als Gesamtkontext zu begreifen. „Ich versuche so, auf kulturhistorischer Ebene Brücken zu bauen“, meint Powels-Niami.

An diesem Montag feiert die Jüdische Volkshochschule ihr 50-jähriges Bestehen. Unter den KursteilnehmerInnen befinden sich viele ältere Menschen. Ein 75-jähriger Teilnehmer, der Zilbergs Kurs „Jüdische Tradition“ besucht, ist kein Jude, fühlt sich dem Judentum aber verbunden. „Ich bin gezogen worden zur Heiligen Schrift“, sagt der Rentner. Er erinnere sich noch gut daran, was ihm Familienmitglieder von der Pogromnacht am 9. November 1938 erzählt haben: Viele Straßen seien gesperrt gewesen und sein Onkel habe an der Ecke zur Kantstraße gestanden und gesehen, wie die von den Nazis angezündete Synagoge brannte. „Das ist doch hier“, sagt er.

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