Göttingen will Bürger beteiligen: Haushalt zum Mitmachen

In Göttingen dürfen die Bürger darüber mitreden, welche Leistungen ihnen genommen werden sollen. So will die Stadt ihre hohen Schulden erlassen bekommen. Die Linkspartei jedoch spricht von Scheinargumenten.

Nie ist genug Geld da: Schon 2003 war Göttingen klamm, vor dem Rathaus protestierten Bürger mit leerem Stadtsäckel. Bild: dpa

GÖTTINGEN taz | Die Mitarbeiter der Stadtverwaltung brüten derzeit auch abends Streichlisten aus. Denn die ohnehin nicht üppigen Zuwendungen für Initiativen und Einrichtungen im sozialen oder Kulturbereich sollen ab dem kommenden Jahr noch weiter zurückgefahren werden. Allein im Jahr 2013 muss die Kommune mehr als fünf Millionen Euro an sogenannten freiwilligen Leistungen sparen, will sie die strengen Vorgaben des Landes Niedersachsen für einen sogenannten Zukunftsvertrag erfüllen.

Wenn die hoch verschuldete Stadt, in deren Rat SPD und Grüne eine Art informelle Koalition bilden, von 2013 bis 2020 ausgeglichene Haushalte vorlegt, könnte das Land im Gegenzug bis zu 75 Prozent der bis 2009 aufgelaufenen Kassenkredite tilgen. In Rede steht eine Gesamtentlastung in Höhe von 142 Millionen Euro und damit verbunden die Befreiung von Zinsverpflichtungen in Millionenhöhe.

Die Stadt will die Bürger an den Kürzungsplänen mitwirken lassen - und verkauft das als niedersachsenweit einmaliges Vorhaben. Die Einwohner können bei öffentlichen Veranstaltungen sowie ab dem 17. Februar auch im Internet Verwaltungs- und Diskussionsvorschläge bewerten und kommentieren sowie eigene Vorschläge einbringen, die dann von der Verwaltung gesichtet und dem Rat vorgelegt werden sollen. Ein ähnliches Verfahren haben im vergangenen Jahr in Wildeshausen Stadtverwaltung und Rat ausprobiert. Auch Hildesheim und Osnabrück kündigten an, einen Bürgerhaushalt einzuführen.

Bei Bürgerhaushalten machen Wähler unverbindlich Vorschläge, wie das Geld einer Gemeinde verwendet werden soll. Die Entscheidung bleibt beim Rat.

Eingesetzt werden oder wurden ein Bürgerhaushalt im Norden unter anderem in Hamburg, Norderstedt, Fehmarn und Wildeshausen.

Beschlossen ist die Einführung in Kiel, Osnabrück, Hildesheim - und Göttingen.

Besonders intensiv genutzt werden Bürgerhaushalte in Berlins Bezirken und in Nordrhein-Westfalen.

Aus der Opposition heraus haben die Grünen in Schleswig-Holstein und Niedersachsen sowie die Linken in Bremen ein ähnliches Verfahren genutzt, um Wähler bei der Entwicklung von Finanzkonzepten zu beteiligen.

In Göttingen legt die Stadt eine 40-seitige Informationsbroschüre aus, die in einer Auflage von 10.000 Exemplaren kostenlos verteilt wird. "Göttingen entscheidet sich", lautet das Motto der Kampagne, die auch durch rund 1.500 Plakate sowie Anzeigen in Zeitungen und Magazinen beworben wird.

Das Kommunalparlament hatte bereits im November mit großer Mehrheit einen Grundsatzbeschluss zum Zukunftsvertrag und zum Haushaltsausgleich gefasst. Als einzige Fraktion wettert die Linkspartei gegen das ganze Vorhaben. Der Oberbürgermeister, SPD, Grüne und CDU streuten den Menschen Sand in die Augen, sagt der Ratsherr und Landtagsabgeordnete Patrick Humke. Schon das seit Wochenbeginn freigeschaltete Internetportal sei nichts weiter als eine "einseitige Darstellung von Scheinargumenten mit der Zielsetzung des Abschlusses des sogenannten Zukunftsvertrages mit dem Land Niedersachsen". Dieser Vertrag sei aber in Wahrheit ein "Zukunftsknebelungsvertrag".

Das "Bündnis Lebenswertes Göttingen" warnt ebenfalls vor dem Vertrag. Folge der Sparmaßnahmen sei "eine weitere Vernachlässigung der Infrastruktur und die Erdrosselung von sozialen, kulturellen und anderen Initiativen", so Sprecher Jörg Miehe. Das Bündnis fordert stattdessen, dass der Rat vor dem Hintergrund positiver Steuerschätzungen darauf hinwirken soll, die zusätzlichen Milliarden für die Beseitigung der Kassenkredite und strukturellen Defizite der Städte und Gemeinden zu verwenden. Die Parteien wollten die mit dem Zukunftsvertrag verbundene "Drecksarbeit" den Bürgern überlassen, höhnt die Initiative "Schöner leben": "Die Bürger sollen entscheiden, welche städtischen Angebote und Leistungen ihnen genommen werden."

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