„Ein fairer Prozess“

Saddams Richter Risgar Mohammed Amin hofft, dass das Verfahren der Demokratie dient

INTERVIEW INGA ROGG

taz: Herr Amin, Sie haben den Ort der Nürnberger Prozesse gegen führende Nazigrößen besucht, wo der Grundstein für die Verankerung von Menschenrechten und Frieden in Europa gelegt wurde. Soll Bagdad das Nürnberg des Nahen Ostens werden?

Risgar Mohammed Amin: Ich habe den Ort der Nürnberger Prozesse während einer privaten Reise nach Deutschland besucht. Zwar ist der Hohe Strafgerichtshof in Bagdad ein nationales Gericht, das auf der Basis eines irakischen Gesetzes gegründet wurde. Doch ist es von den internationalen Rechtsgrundlagen inspiriert, von denen es zahlreiche Grundsätze übernommen hat, etwa vom Internationalen Strafgerichtshof oder vom Jugoslawien-Tribunal. Wir tun alles, um faire Prozesse zu garantieren. Ob Bagdad das Nürnberg des Nahen Ostens wird, wird sich am Ende zeigen. Das Urteil wird die Geschichte fällen, wir können das nicht beurteilen.

Das Tribunal wurde nach dem Sturz Saddam Husseins durch den damaligen US-Verwalter des Irak, Paul Bremer, und den von ihm ernannten Regierungsrat eingerichtet. Wäre es nicht besser gewesen, ein Gericht mit einem UN-Mandat einzurichten?

Die Meinungen dazu gingen weit auseinander. Schließlich hat man sich für ein rein irakisches Sondergericht entschieden, das jedoch internationales Recht zur Anwendung bringt.

Können vor dem Gericht auch ausländische Regierungen oder Firmen angeklagt werden?

Es können nur natürliche Personen und keine Regierungen oder Firmen angeklagt werden. Ausländer können nur belangt werden, wenn sie ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht im Irak besitzen.

Es gibt Versuche politischer Einmischung in die Justizarbeit. Davon ist auch das Tribunal betroffen. Unterminiert das nicht seine Glaubwürdigkeit?

Ein Gericht muss die Menschenrechte schützen. Die Rechte aller Beteiligten müssen gewahrt werden. Dafür werde ich mich mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln einsetzen. Politische Einmischung in die Gerichtsbarkeit ist das Ende der Gerechtigkeit. Deshalb habe ich auch früher schon alle Versuche der Mächtigen, mich oder das Gericht unter Druck zu setzen, abgewehrt und keine Form der Einmischung geduldet. Da ich politisch unabhängig und keiner Seite verpflichtet bin, konnte ich dem Druck standhalten.

Als erster Richter im Nahen Osten sitzen Sie über einen ehemaligen Herrscher zu Gericht. Wie war es, als Sie Saddam im Gerichtssaal begegneten?

Als Richter setze ich mich mit den verschiedenen Facetten der Anklage auseinander. Dabei steht für mich nicht die Person des Angeklagten im Vordergrund, sondern immer der Fall. Deshalb betrachte ich auch jede Klage gleich und konzentriere mich in einem Prozess auf die jeweiligen Aspekte des Rechts.

Saddam Hussein ist aber kein gewöhnlicher Angeklagter. Er steht wegen Genozids und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht.

In jedem Verfahren gilt für den Angeklagten die Unschuldsvermutung, solange er nicht rechtskräftig verurteilt ist. Deshalb kann ich diese Frage nicht beantworten. Grundsätzlich muss ein Richter in aller Ruhe jedes Detail berücksichtigen, da er am Ende ein faires Urteil über gegensätzliche Interessen fällen muss. In den Überlieferungen des Propheten Mohammed heißt es: „Fürchtet Gott, auch wenn ihr nur über ein Stück von einer Dattel richtet.“ Als Richter trägt man religiöse, soziale, juristische und moralische Verantwortung. Das darf man nie vergessen, wie schwer oder leicht die mutmaßliche Straftat auch immer erscheinen mag.

Der Beginn Ihrer Laufbahn fiel in die Zeit, als Saddams Regime Giftgas gegen Kurden einsetzte. Sie sind selbst Kurde. Haben Sie je gedacht, dass Saddam vor Gericht stehen könnte?

Kein Kommentar. Das ist eine politische Frage.

Warum haben Sie als ersten Anklagepunkt das im Vergleich zu den Massenmorden an den Kurden und Schiiten eher unbedeutende Massaker an 148 Schiiten in Dudschail gewählt?

Wir entscheiden nicht darüber, welcher Fall als erster verhandelt wird. Das entscheiden die Ermittlungsrichter, sie haben diesen Fall zur Anklage gebracht. Wir mischen uns in ihre Arbeit nicht ein, sondern prüfen nur die Klagen, die bei uns eingereicht werden.

Seit Beginn des Dudschail-Verfahrens wurden zwei Verteidiger ermordet. Wie wollen Sie angesichts dessen ein faires Verfahren garantieren?

Mord ist ein abscheuliches Verbrechen, vor allem, wenn er an einem Anwalt verübt wird. Kein Prozessbeteiligter darf Bedrohungen, Angriffen oder Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt sein. Es ist jedoch Aufgabe der Regierung, sich um diese Fragen zu kümmern.

Die Verteidigung drohte mit einem Boykott des Verfahrens. Kann der Prozess überhaupt fortgesetzt werden?

Das Gericht muss die verschiedenen rechtlichen Alternativen abwägen. Ich entscheide nicht allein, deshalb kann ich mich im Vorfeld nicht dazu äußern. Jede Lösung kommt zu ihrer Zeit.

Warum haben Sie diesen gefährlichen Job angenommen?

Die kurdische Regionalregierung hat das entschieden, sie hat mich an dieses Gericht geschickt. Fern von der Familie zu sein ist immer schwer. Die Entscheidung lag jedoch nicht bei mir, sondern bei der Regionalregierung Kurdistans. In einem offiziellen Schreiben wurde ich auf Vorschlag des Justizministeriums von Suleimanija aufgefordert, mich für dieses Gericht bereitzustellen.

Warum haben Sie nicht abgelehnt?

Da es eine offizielle Anordnung ist, ist das nicht möglich. Es war ein Beschluss des Ministerrats von Suleimanija, des damals höchsten Exekutivgremiums.

Die Sicherheitsauflagen für das Tribunal sind so extrem, dass die Menschen im Irak kaum die Möglichkeit haben, die Verfahren zu verfolgen. Wie wollen Sie da Vertrauen gewinnen?

Ich würde mir wünschen, dass der Gerichtssaal größer wäre und mehr Personen den Prozess verfolgen könnten. Gemäß Gesetz ist das Gericht öffentlich. Nur in ganz bestimmten Ausnahmefällen darf die Öffentlichkeit vom Verfahren ausgeschlossen werden. Soweit ich weiß, war ich der erste Richter in Suleimanija, der der Presse Zugang zu einem Prozess gewährte. Ein öffentliches Verfahren gibt auch den Richtern Rückendeckung. Denn jeder weiß dann, was im Gerichtssaal vor sich gegangen ist.

Welche Auswirkungen sollte das Tribunal auf den Irak haben?

Ich hoffe, dass es ein Schritt hin zu einer fairen Gerichtsbarkeit ist, die sich am internationalen Recht orientiert, und dass so die Basis für eine unabhängige Justiz gelegt wird. Eine Justiz, vor der jeder Bürger, unabhängig von Stand und Ansehen, gleich ist. Dieser Gerichtshof sollte den Anstoß für die Durchsetzung der Gewaltenteilung geben.

Ein Grundstein für Demokratie?

Unbedingt. Das Gericht sollte zum Aufbau der Demokratie und vor allem zur Sicherung der Menschenrechte beitragen. Diese müssen in Zukunft fest verankert werden.