Bundesfreiwilligendienst: Die neuen alten Zivis

Der Bundesfreiwilligendienst hat den Zivildienst abgelöst. Für Ältere und Arbeitslose ist er eine echte Chance. Ein Besuch am Arbeitsplatz

Sieht aus wie Zivildienst, ist aber keiner mehr: Bufdi im Einsatz Bild: dpa

Wenn Kurt Grunow seine Schöpfkelle im Kesselgulasch versenkt, dann macht er genau das, was er machen will: arbeiten. Freiwillig. Teller für Teller verteilt Grunow Gulasch auf Kartoffeln und neben Rotkohl. Sein Refugium ist die Großküche der Friedrichshainer Werkstatt für Menschen mit Behinderung, die der Verein Integral betreibt. "Ohne das hier würde ich zu Hause hocken und mich langweilen", sagt Grunow. Er leistet Bundesfreiwilligendienst (BFD) und ist 51 Jahre alt - und vielleicht ist es dieses Alter, dass seinen Chef den Kopf schütteln lässt, wenn er die gängige Abkürzung für "Bundesfreiwilligendienstleistender" hört: Bufdi.

"Klingt kindisch", sagt Grunows Chef Fried Gebhardt, Werkstattleiter und zuständig für die Freiwilligen. In seinem Büro steht ein Aktenordner mit der Aufschrift: "Zivi Oktober 2010 Ende". Und auf einem anderen: "BFD bis". Ausgang offen - der BFD hat gerade erst begonnen, die Zeit des Zivildienstes ist seit letztem Jahr vorbei. Gefallen hat das Gebhardt zunächst nicht: 14 Zivis hatte er hier pro Jahr, die in der Werkstatt oder in der Küche halfen oder einen Rollstuhlfahrer zur Toilette begleiteten. Junge Wehrdienstverweigerer, die das unter anderem taten, weil sie es tun mussten, waren für Gebhardt eine sichere Bank. "Auch wenn bei 14 Jungs eigentlich immer eine Schlafmütze dabei war", sagt er.

Schlafmützen gibt es jetzt keine mehr, "die Leute kommen alle freiwillig und bewusst". Doch erst mal müssen sie überhaupt kommen, also durch die Werbeplakate oder die Platzbörse im Internet auf den BFD aufmerksam werden und sich melden. Seit dem Start des BFD im Herbst ist das besser gelaufen, als Gebhardt erwartet hatte: Ein Dutzend BFD-Plätze sind mittlerweile besetzt, und zwar "viel durchmischter als beim Zivi, da waren das ja immer nur Abiturienten".

800 "Bufdis" gibt es hier

Unter Gebhardts Freiwilligen sind jetzt neben AbiturientInnen Menschen mit Hauptschulabschluss, Bezieher von Arbeitslosengeld II oder Helfer, die wie Kurt Grunow schon über 50 Jahre alt sind - BFD dürfen alle machen, unabhängig von Alter, Geschlecht und Nationalität, nur schulpflichtig dürfen sie nicht mehr sein. Knapp 800 Bufdis gibt es derzeit in Berlin, 44 Prozent von ihnen sind Frauen, knapp ein Viertel ist älter als 27. Insgesamt ist das dennoch nicht einmal der Hälfte der mehr als 2.000 Zivis, die das zuständige Bundesamt für Zivildienst - nun ist es "für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben" zuständig - im Dezember 2010 in der Stadt zählte.

Der BFD ist ein Angebot an Frauen und Männer jeden Alters, sich außerhalb von Beruf und Schule für das Allgemeinwohl zu engagieren - im sozialen, ökologischen und kulturellen Bereich, im Bereich des Sports, der Integration sowie im Zivil- und Katastrophenschutz.

Der Dienst soll helfen, die Folgen der Aussetzung des Zivildienstes zumindest teilweise zu kompensieren. Ziel ist laut dem Bundesfamilienministerium außerdem, eine neue Kultur der Freiwilligkeit in Deutschland zu schaffen und möglichst vielen Menschen ein Engagement für die Allgemeinheit möglich zu machen.

Im BFD kann sich jeder engagieren, der nicht mehr zur Schule geht, eine Altersgrenze nach oben gibt es nicht.

Auf den Werbeplakaten des Amts für den Bundesfreiwilligendienst steht ein durch und durch wahrer Satz: "Nichts erfüllt mehr, als gebraucht zu werden." Kurt Grunow etwa war seit 1989 nicht mehr gebraucht worden, als ihn die Bäckerei in Sachsen-Anhalt, in der er gelernt und gearbeitet hatte, entließ. Er versuchte sich als Versicherungsvertreter, scheiterte und landete irgendwann in der Arbeitslosigkeit in Berlin. Durch einen 1-Euro-Job kam er in die Integral-Werkstatt, diese Maßnahme war jedoch "am 7. Februar 2010" vorbei, das Datum nennt er auf den Tag genau.

Nach diesem 7. Februar kam er trotzdem immer wieder in die Werkstatt, zu Besuch. Bis sein Chef Gebhardt ihm vom BFD erzählte. Bald darauf trat er seinen Freiwilligendienst an, "das geht jetzt bis 30. März 2012". Für sechs Monate hat die Arbeitsagentur seinen BFD vorerst genehmigt; anderthalb Jahre höchstens darf ein solcher Dienst dauern, denn: die Freiwilligen sollen keine regulären Stellen ersetzen. Grunow hofft gerade, dass seine Sachbearbeiterin bei der Arbeitsagentur ihm erst mal noch ein halbes Jahr gestattet. Noch ein halbes Jahr Schrippen schmieren ab fünf Uhr morgens, für das Frühstücksbuffet der Werkstattmitarbeiter. Nichts wünscht sich Grunow mehr - "mit meinen 51 Jahren kann ich den ersten Arbeitsmarkt vergessen".

Der erste Arbeitsmarkt wartet eher auf einen wie Johannes Wiegreffe. Aber Wiegreffe, 20 Jahre alt, schmiert jetzt lieber erst mal Schrippen. Freiwillig wie Grunow, in der Kreuzberger Ambulanz für Integrierte Drogenhilfe. Ab Herbst will er studieren, "wahrscheinlich ein Fach im sozialen Bereich", so genau weiß er das noch nicht. Der Zivildienst ist Geschichte - aber ein bestimmter Typus Zivi lebt weiter, weil ihm auch der BFD bietet, was er sucht: die Möglichkeit, nach der Schule durchzuatmen, nicht gleich weiterzuhechten, und während dieses Durchatmens etwas zweifellos Sinnvolles zu tun.

Mittwochvormittags bedeutet das für Wiegreffe: Schrippen schmieren, Äpfel schnippeln, Kaffee machen. Das gesunde Frühstück für die Substituierten vorbereiten, das die sich hier einmal pro Woche für einen Euro kaufen können, wenn sie ihren Ersatzstoff abholen. Ansonsten beaufsichtigt Wiegreffe Substituierte, wenn sie ihre Urinproben abgeben, und begleitet Klienten, die allein ungern ihre Wohnung verlassen, etwa zum Zahnarzt.

Das hätte Wiegreffe auch im Zivildienst machen können - nur die Bedingungen beim BFD sind nun härter, weil sich die Bundesregierung Sold, Wohn-, Essens- und Kleidungspauschalen spart, wie Zivis sie früher bekamen. 300 Euro beträgt die monatliche BFD-Pauschale, Wiegreffes Eltern überweisen ihm das Kindergeld und noch etwas obendrauf. "Haut schon hin", sagt er.

Wenn Wiegreffe zu studieren beginnt, wird Ronny Beck, 38 Jahre alt, gerade sein Abitur nachholen. Drei Jahre Abendschule, werktags zwischen 17 und 21 Uhr, die Anmeldung ist schon unterschrieben. Bis es losgeht, ist er selbst Lehrer: für Senioren, die an ihren Computern zu Hause mehr nutzen wollen als nur das Schreibprogramm. Die deshalb dankbar sind, dass der "Technische Jugendbildungsverein in Praxis" seine Zielgruppe irgendwann auf Senioren ausdehnte. Und auch Beck ist dankbar: Dafür, dass der Verein ihm eine BFD-Stelle gab, als Lehrer der "Senioren-Akademie", wie sie jede Woche in vier Ortsteilen Treptow-Köpenicks gastiert.

An diesem Donnerstagmorgen findet der Kurs im alten Rathaus in Johannisthal statt. Keine 15 Quadratmeter misst der Raum, zwei grauhaarige Frauen und ein Mann sitzen hinter Flachbildschirmen. Eigentlich wollte Beck heute das Thema Datensicherheit behandeln: Wie macht man ein Backup, was ist eine externe Festplatte. Aber jetzt erbittet der Herr mit Hörgerät im Ohr und rotem Sparkassen-Beutel neben sich erst einmal Aufklärung: Vor einigen Tagen ist er auf die Chronik seines Internetbrowsers gestoßen. Für ihn war das ein Schock: "Warum werden da alle Seiten, auf denen ich war, gespeichert?"

Er hat mal Koch gelernt

Beck hat mal eine Ausbildung zum Koch nach 33 Monaten abgebrochen, ein Vierteljahr vor Ende, "wegen Prüfungsbammel". Aber wie er nun eine halbe Stunde lang erklärt, wie man seine Spuren im Netz verwischt, wie sich Chroniken und Cookies löschen lassen und was ein Popup-Blocker ist, das ist an Souveränität und Geduld nicht zu überbieten. "Bitte nicht nervös werden", sagt er immer wieder, leise und bestimmt. Seine Stimme kommt von rechts hinten, dort sitzt Beck: in der letzten Reihe, hinter allen anderen, die rechte Hand an seiner Maus, die linke auf seinem Oberschenkel ruhend. "Vorne stehen könnte ich nicht", wird er nachher sagen. Muss er auch nicht, denn dort steht die Leinwand, auf der mit Hilfe des Beamers seine Arbeitsschritte nachzuvollziehen sind.

Weder ist die erste Reihe Becks Platz, noch will er seinen richtigen Nachnamen in der Zeitung lesen. Diese zurückhaltende Art ist zwar sympathisch, aber wohl mitverantwortlich dafür, dass der ausgebildete "Fachinformatiker für Systemintegration" nach zahllosen Bewerbungen, Weiterbildungen und Praktika in Unternehmen sagt: "Als ITler bekomme ich keinen Fuß mehr in die Tür."

Beck hat das mit der Datensicherung noch geschafft in dieser Stunde: Er hat seinen USB-Stick mit der Aufschrift "Ronny Job" in den Rechner gesteckt und den Senioren gezeigt, "wie die Fotos von den Enkeln garantiert nicht verloren gehen, sondern sicher sind".

Sicher ist auch Ronny Beck: Bundesfreiwilligendienst, dann Abendschule und Abitur. "Wenn es nicht auf dem direkten Weg funktioniert, gehe ich eben hintenrum."

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