Kommentar Naziterror: Wo es wirklich um Würde geht

In der Debatte um Wulff wird mit großen Worten um sich geschmissen. Der wahre aktuelle Skandal – der Naziterror – wird in den Hintergrund gedrängt.

Bei all den Diskussionen über Christian Wulffs Häuschen in Großburgwedel, seine Übernachtungen auf Mallorca, in München und Miami; bei den ganzen Debatten über die Würde, die angeblich nicht nur ein Mensch, sondern auch ein Amt haben kann, ist der größte Skandal der vergangenen Jahre erschreckend schnell medial in den Hintergrund gedrängt worden: die über Jahre hinweg im Untergrund mordende Zwickauer Terrorzelle und das Versagen des Staates, ihr auf die Schliche zu kommen.

Es wird nun bald einen Untersuchungsausschuss des Bundestags geben, dazu eine Bund-Länder-Kommission. Eine Expertenkommission in Thüringen gibt es ohnehin schon.

Das ist auch alles richtig und notwendig, und trotzdem beschleicht einen schon jetzt ein ungutes Gefühl: dass am Ende niemand konkret Verantwortung übernehmen wird für all die Fehler und Versäumnisse, Schlampereien und Pannen der Behörden; dass am Ende alles verläppern könnte in einem "Extrem dumm gelaufen, aber jetzt muss der Blick nach vorne gehen". Einen Rücktritt hat es in der Neonaziaffäre bisher nicht gegeben, ja noch nicht einmal eine Rücktrittsforderung.

Unterdessen agitieren die Neonazis weiter. 1.200 Rechtsextreme marschierten am Wochenende in Magdeburg auf, darunter auch solche des Freien Netzes, eines militanten Zusammenschlusses, dem auch einer der Männer angehört, die als mutmaßliche Unterstützer der Zwickauer Terrorzelle derzeit in Untersuchungshaft sitzen.

Die gute Nachricht: 10.000 Menschen haben sich den Rechtsextremen in Magdeburg entgegengestellt. Auf jeden Neonazi kamen also fast zehn Neonazigegner. Die schlechte: Den Medien ist all das kaum Platz oder Sendezeit wert, zu wenig aufregend erscheinen ihnen die Slogans der "Bunt statt braun!" fordernden Bürgerinnen und Bürger, zu wenig Nachrichtenwert hat deren Protest.

Und das Wühlen in Wulffs schillerndem Umfeld erscheint deutlich sexyer, als sich weiter mit hässlichen Neonazis und ihren Strukturen in Ost- und Westdeutschland zu befassen. "Jetzt reichts auch langsam mal wieder mit diesen Glatzen", heißt es in zahlreichen Redaktionen.

Aber wenn irgendwo die "Würde" verteidigt wird, dann sicher nicht unbedingt in den Auseinandersetzungen über das Amt des gegenwärtigen Bundespräsidenten. Verteidigt wird die Würde im Kampf gegen die Rechtsextremen.

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Jahrgang 1979. War bis 2013 in der taz zuständig für die Themen Rechtsextremismus, Terrorismus, Sicherheit und Datenschutz. Wechsel dann ins Investigativressort der Wochenzeitung „Die Zeit“.

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