Machtspiele in der Grünenspitze: Ein Parteichef, der nach vorne möchte

Langsam aber sicher rückt Cem Özdemir an Jürgen Trittin heran. Denn die Zeiten sind vorbei, in denen Parteichef Özdemir vielen Grünen als inhaltlich zu schwach galt.

Wollen beide an der Parteispitze mitmischen: Jürgen Trittin (li) und Cem Özdemir. Bild: ap

BERLIN taz | Die Szene auf dem Grünen-Parteitag in Kiel zeigte deutlich, dass Cem Özdemir in seiner Partei noch viel vorhat. Die Parteilinke hatte im November einen Gegenantrag gestellt, sie wollte, dass der Spitzensteuersatz für mehr Leute gilt als vom Vorstand geplant. Die Zustimmung der Basis war wahrscheinlich, keiner von den Realos drängelte sich vor, die Gegenrede zu halten.

Da schrieb Özdemir ein paar Sätze auf, ging ans Mikrofon und rief den Delegierten zu: "Bitte beschließt kein Wiederbelebungsprogramm für die FDP!" Ein Satz, der es in viele Artikel schaffte - und die Basis dazu brachte, den Linken-Antrag abzulehnen.

Die Zeiten sind vorbei, in denen Parteichef Özdemir vielen Grünen als inhaltlich schwachbrüstig galt, als einer, der mal auf dieses, mal auf jenes Thema aufspringt. Özdemir führt die Partei seit drei Jahren, er hat sich in dieser Zeit ein inhaltliches und taktisches Fundament erarbeitet - und schickt sich an, zu dem unumstrittenen Spitzenmann Jürgen Trittin aufzuschließen.

Das liegt zunächst daran, dass sich die Machtverteilung zwischen den großen Vieren der Partei - den FraktionschefInnen Trittin und Renate Künast und den ParteichefInnen Özdemir und Claudia Roth - verschoben hat. Özdemirs inhaltliche Verbündete ist Künast, die wie er im Realo-Flügel verortet ist. Ihre Position ist seit der Berlinwahl geschwächt, weil ihr parteiintern der desaströse Wahlausgang angelastet wird, auch wenn Spitzengrüne dies offiziell bestreiten. Und weil sie ein Jahr lang im Bund inhaltlich keine Rolle gespielt hat. Özdemirs Stärke beruht auch auf ihrer Schwäche.

Profiliert sich als Parteichef mit Kompetenzen

Gleichzeitig hat er inhaltlich an Gewicht gewonnen. Özdemir redet regelmäßig mit Unternehmern, er kann detailliert begründen, warum der Mittelstand von Klimaschutz profitiert, er ist auch bei der Industrie- und Handelskammer ein gern gesehener Gast. So profiliert er sich als Parteichef mit Kompetenz beim wichtigsten grünen Projekt für 2013 - dem Green New Deal.

Schließlich ist Özdemir in der Partei gut vernetzt. Viele wichtige Grüne in den Ländern gehören zu seinen politischen Freunden - Robert Habeck in Schleswig-Holstein, Tarek Al-Wazir in Hessen oder Boris Palmer in Baden-Württemberg. Kontakte, die helfen, wenn es darum geht, sich nach vorn zu schieben.

Özdemirs gewachsener Machtanspruch in der Partei wird schon bald eine Rolle spielen: Im kommenden Jahr müssen die Grünen entscheiden, welches Team sie im Wahlkampf 2013 anführen soll. Ein Duo Trittin/Künast, das vor Jahresfrist noch denkbar gewesen wäre, ist es jetzt nicht mehr. Wenn Özdemir Trittin lobt und betont, die Grünen würden über die Formation "rechtzeitig Anfang 2013" entscheiden, dann weiß er dabei eines genau: An ihm vorbei geht das alles nicht mehr.

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