Kolumne Dazwischen: Dem Windhund so nah

Jahresende, alles Ende, die Zukunft düster - und dann brach auch noch das C ab.

Als ich letzte Woche meinen Job gekündigt habe, bin ich erst mal in ein Loch gefallen, unabsichtlich. Ich war eigentlich sehr erleichtert, aber dann kam das Loch, alles wurde schwarz und anstrengend, es war der Horror, und dann war auch noch Nieselregen.

Außerdem wurde in unserer Landkommune gerade diskutiert, ob es okay ist, dass ich Kolumnen über die Kommune und das Dorf schreibe. Manche hatten Angst, dass ich die Dorfbewohner beleidige oder zu intimes Zeug veröffentliche. Kann passieren, klar.

Zwischendurch sah es so aus, als würden sie komplett gegen die Texte abstimmen. Mir wurde ganz schlecht. Dann brach die N-Taste aus meiner Tastatur, und am nächsten Tag knickte auch das C ab. Ich hatte das Gefühl, dass alle meine Arbeitsgrundlagen zerfallen. Am Arsch. Jahresende, alles Ende, die Zukunft düster.

Dann kam ein Morgen, an dem ich mit meinem Freund im Bett lag, draußen regnete es. Er wollte Sex, ich fand es viel zu früh dafür. Deswegen fragte ich, ob wir nicht nebenbei was spielen können. "Können wir Stadt-Land-Fluss spielen, während du mich fickst, dann ist mir nicht so langweilig?" Ich fing an, A, er musste "Stopp" sagen. Wer jeweils zuerst alle Wörter zusammenhatte, rief "Schluss". Ich gewann haushoch, er hatte einen Orgasmus.

Abends waren wir dann auf einem Geburtstag in einer einfachen, netten Kneipe. Alle saßen rum, rauchten und tranken, manche tanzten. Weil wir spät kamen, setzten wir uns ganz hinten hin, da, wo man durchmuss, wenn man zum Klo will. Es blieb eine kleine Lücke frei, dahinter war ein schmaler Gang zu den Toiletten.

Als ich zur Bar ging, nahm ich Streichhölzer vom Tresen mit, auf der Schachtel war ein Reh mit roten Stiefeln. Ich bestellte zwei Bier und sah neben mir einen großen weißen Windhund mit langem Fell und superschmaler Schnauze.

Als ich zurückging, folgte mir der Hund. Er blieb neben unserem Tisch stehen und schaute zögerlich auf die Lücke, die zum Klogang führte. Sein Kopf hing herab, sein Blick war so mutlos und träge, als wenn alles beschissene Leid der Welt auf seinen schmalen Hundeschultern lastete. Er traute sich nicht durch zum Gang. Armer Hund, dachte ich, wollte seinen Kopf streicheln, aber er wich mir aus. Ich schob den Tisch zur Seite, er schnüffelte, dann ging er langsam durch. Er schwang dabei mit seinem Schwanz über den Tisch und löschte mit einem Wisch alle vier Teelichter, die da brannten. Dann legte er sich ans Ende vom Klogang und sah aus wie tot.

Auf dem Nachhauseweg holte ich die Streichholzschachtel aus meiner Jackentasche. Ich schaute das weiße Reh mit den roten Stiefeln an und stellte fest: Das war gar kein Reh. Das war der Windhund, der gehört offenbar zur Kneipe, er ist da so was wie das Maskottchen. Und sie malen ihm rote Stiefel an und kleben ihn auf Streichholzschachteln. Oh Gott. Eine tiefe Traurigkeit ergriff mich. Ich fühlte mich dem Windhund so nah. Trotzdem hoffte ich, dass ich am Ende des dunklen Ganges, wenn ich wieder einen Job kriege und der Frühling kommt und so, nicht tot vor einem Kneipenklo liegen werde. Bitte nicht. Aber so hübsche rote Stiefel hätte ich auch gerne.

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Jahrgang 1986. Schreibt seit 2009 für die taz über Kultur, Gesellschaft und Sex. Foto: Esra Rotthoff

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