Streit um Bleiberecht: Zurück in die Duldung

Ein neuer Erlass von Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) steht in der Kritik von Flüchtlingsrat und Opposition. Er formuliere Bedingungen für Aufenthaltsgenehmigungen zu restriktiv.

Müssen ihren Lebensunterhalt komplett selbst finanzieren, um sicher bleiben zu dürfen: Flüchtlinge in Niedersachsen. Bild: ap

HANNOVER taz | 1.000 Flüchtlingen in Niedersachsen droht nach Schätzung des Flüchtlingsrates wegen eines neuen Erlasses von Innenminister Uwe Schünemann (CDU) die Abschiebung. Restriktiver als in anderen Bundesländern seien die Anweisungen, die Schünemann seinen Ausländerbehörden kurz vor Weihnachten zur Verlängerung der Bleiberechtsregelung von 2009 erteilt hat.

Betroffen sind Flüchtlinge, die damals nach einem Beschluss der Innenministerkonferenz ein zweijähriges sogenanntes Bleiberecht auf Probe erhalten hatten, das Ende 2011 ausläuft. Weitere zwei Jahre gesicherten Aufenthalt sollen in Niedersachsen nur diejenigen bekommen, die ihren Lebensunterhalt komplett selbst finanzieren können.

Wer nicht arbeitet oder mit Sozialleistungen aufstocken muss, muss nachweisen, dass "in nächster Zeit eine vollständige Lebensunterhaltssicherung zu erwarten ist", heißt es in dem Schreiben des Innenministeriums. Ausgenommen sind einzig Alleinerziehende mit Kindern unter drei Jahren.

Laut Flüchtlingsrat stellt Niedersachsen die schärfsten Bedingungen zur Verlängerung des Probe-Bleiberechts.

In Rheinland-Pfalz etwa reicht der Nachweis, dass man sich "ernsthaft und nachhaltig" bemüht, den Lebensunterhalt selbst zu sichern.

Krankheit, Alter, Schwangerschaft, Kindererziehung oder pflegebedürftige Angehörige sind dort laut Erlass zu berücksichtigen.

Selbst das CDU-regierte Hessen stelle moderatere Bedingungen, kritisiert der Flüchtlingsrat.

Hohe Hürden für die Betroffenen, die seit mindestens zehn Jahren in Deutschland leben, sagt Flüchtlingsrats-Sprecher Kai Weber. "Auch ein Bemühen um Arbeit reicht nicht, wenn sie zu arm, zu alt oder zu krank sind, um ihren Lebensunterhalt vollständig aus eigener Erwerbstätigkeit zu decken."

Ein konkreter Fall: Die Roma-Familie Bonesta aus dem ostfriesischen Esens. Weil die alleinerziehende Mutter von sechs Kindern nur 69 Prozent des Lebensunterhalts der Familie selbst finanziert, war ihr Anfang Dezember nach 20 Jahren in Deutschland die Abschiebung nach Montenegro angekündigt worden.

Erst nach massiver Kritik aus dem Landkreis und vom evangelischen Landesbischof Friedrich Weber aus Braunschweig wurde den Bonestas eine Duldung erteilt - für sechs Monate. Keine Verbesserung, kritisiert der Flüchtlingsrat, zuvor hatten sie zwei Jahre Bleiberecht. Zudem verlieren sie den Anspruch auf Kinder- und Elterngeld.

Innenminister Schünemann zieht mit seinem Erlass erneut den Zorn der Opposition auf sich. Die ist im Landtag erst vor wenigen Wochen mit einem Antrag auf Abwahl des Ministers an der schwarz-gelben Regierungsmehrheit gescheitert. Anlass war damals auch Schünemanns Abschiebepraxis. 503 Menschen wurden allein bis Ende Oktober 2011 aus Niedersachsen abgeschoben. Fast so viele Abschiebungen hat es im Jahr zuvor insgesamt gegeben, wie aus einer Anfrage der Grünen hervorgeht.

2012 werde nun zum "Schicksalsjahr" für alle, die nach der Regelung von 2009 zumindest für zwei Jahre eine Perspektive hatten, sagt die Grünen-Migrationspolitikerin Filiz Polat. Ihnen drohe jetzt der Rückfall in die Duldung samt "erneuter ständiger Angst vor der Abschiebung".

Die Linken-Innenpolitikerin Pia Zimmermann findet Schünemanns Erlass schlicht "gnadenlos". "Es kann nicht sein, dass Menschen nur nach ihrer wirtschaftlichen Verwertbarkeit gruppiert werden", sagt sie.

Das Innenministerium beruft sich indes auf den "Gesetzgeber". Der wolle eben nur Personen begünstigen, die nach einer Probezeit arbeiteten und bei denen zu erwarten sei, dass sie sich komplett selbst finanzierten.

Auch in der FDP-Fraktion ist man erstaunt über die Kritik: Mit dem Erlass sei nur die Regelung von 2009 verlängert worden. Erst im November hatte die Fraktion Schünemann zum Rapport bestellt - wegen seiner Abschiebepraxis. Der Erlass werde nicht zu Verschärfungen führen, dessen ist man sich jetzt sicher. "Der Minister weiß, wie der Koalitionspartner dann reagieren würde", heißt es aus der Fraktion.

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