Festival "Trans Musicales" in Rennes: Renitente Raver

"Trans Musicales" - Nirvana oder Naughty By Nature traten hier erstmals in Europa auf. Das Festival ist eine Börse für junge Bands und DJs aus Frankreich und Übersee.

Melancholische Emphase: Sallie Ford. Bild: Nicolas Joubard

Die Welt ist meine Auster. Zumindest, wenn es nach den Franzosen geht. Pro Jahr schlürfen unsere Nachbarn im Westen durchschnittlich 1,75 Kilogramm Austern. Dass beim Empfang für die Gäste des Musikfestivals "Trans Musicales" in der bretonischen Stadt Rennes Austern gereicht werden, versteht sich da von selbst.

Der Ertrag ganzer Austernbänke ist auf Eiswannen drapiert, und der Bürgermeister und der Festivalleiter machen den Gästen vor, wie man das labbrige Innere in die Gaumen gleiten lässt, als seien es Erdnussflips. Savoir-vivre für alle.

Das Austern-Ambiente setzt sich bei den Veranstaltungsorten fort: Entweder steigen die "Trans Musicales"-Konzerte in der verwinkelten, aus Fachwerkbauten bestehenden Altstadt in nussschalenkleinen Bars oder in brutalistischen Kongressbauten und Messehallen. Kulinarisch kann es Jean-Louis Brossard allemal mit Dieter Kosslick aufnehmen.

Seit 1978 verantwortet Brossard zusammen mit seiner Frau Béatrice Macé, die die finanziellen Geschicke regelt, das "Trans Musicales". Er lässt es sich nicht nehmen, Künstler, die ihm am Herz liegen, persönlich anzusagen. Und Brossard hat seit 33 Jahren einen Riecher für kommende Stars: Ob Gun Club oder Nirvana, Naughty By Nature oder Deelite, ihre ersten Konzerte auf europäischem Boden fanden jeweils in der Bretagne statt.

Man könnte sich Brossard und seine Frau auch auf einer Yacht vorstellen: Ein properes Paar in den Sechzigern, selbstbewusst, verhandlungssicher, aber ihr Herz schlägt für Popmusik. Und ihr Festival steigert längst den Standortfaktor von Rennes.

Der starken Zuschauernachfrage wegen musste - auch dieses Jahr kommen Zehntausende Zuschauer - ein Teil der Festivalveranstaltungen auf das Expo-Gelände vor die Stadtgrenzen umziehen. Es hat die Größe eines Flughafens, aber selbst dort gelingt es den Bretonen, zwischen Stellwänden, Metallzäunen und Betontribünen ein Mindestmaß von Charme zu bewahren.

Mitten im größten Rave wird im Salon du Thé Pfefferminztee serviert, was die renitenten bretonischen Raver für kurze Zeit beruhigt. In einer anderen Halle erheischt eine Ausstellung mit Konzertfotografien der alten "Transmusicales"-Jahrgänge, deren Abbildungen über den Eingang projiziert werden, die Aufmerksamkeit der Masse. In Scharen ziehen die Bretonen von Konzert zu Konzert.

Headliner gibt es keine

Headliner gibt es übrigens nicht, wenn während dreier Tage und Nächte durchgehend Bands und Künstler auftreten. Bis vor wenigen Jahren hatte es Brossard nicht mal nötig, prominente Überraschungsgäste ins Programmheft aufzunehmen: Plötzlich stand eine Beth Gibbons einfach auf der Bühne.

Dieses Jahr geht es darum, ob sich HipHop und Dubstep auf den großen Bühnen durchsetzen könnten. Aus Seattle kommt das HipHop-Duo Shabazz Palaces, aus London der Dubstep-Produzent Zomby. Und beide schaffen es nicht, ihre tollen Debütalben live adäquat umzusetzen.

Shabazz Palaces fehlt es an Präsenz und Willen, die kopfstarken Raps durchzuziehen. Und Zomby verbirgt sich hinter einer Maske und feuert die Tracks von "Dedication" etwas zu schnell ab. Stimmung kommt erst auf, als er Oldschool-Jungle untermischt und die Leute anfeuert.

Das "Trans Musicales" ist ein Publikumsfestival, zusätzlich trifft sich hier alljährlich aber die französische Musikbranche, und Konzertveranstalter und Booking-Agenten kommen aus ganz Europa, um den Nachwuchs zu sondieren.

Allein aus Deutschland sind dieses Jahr um die 20 Tourveranstalter angereist. Junge, wie die Berlinerin Annika Weyhrich, die gerade versucht, eine Clubnacht in Berlin aus der Taufe zu heben. Und alte Hasen, wie Berthold Seliger, der sich als Kulturvermittler bezeichnet und in Rennes mit Bandmanagern über ausgedehnte Gastspiele verhandelt.

Beim "Trans Musicales" werden die Durchsetzungsmöglichkeiten junger angloamerikanischer Künstler ausgelotet. Import/Export ist ein knallhartes Geschäft. Damit keine Viehbörse entsteht, wird eine Menge getan. Namhafte französische Musikjournalisten halten in der städtischen Bibliothek Vorträge: Bei "Americana - Wiederentdeckung einer Kultur und Reise zu den Quellen des Rock" ist der Saal ausverkauft. Auch, weil hinterher die junge amerikanische Musikerin Sallie Ford spielt.

In ihrem Heimatland hat sie noch gar keine zusammenhängende Tour absolviert, hier steht sie auf dem Sprung für eine Europatournee kommendes Jahr. Ihr Debütalbum "Dirty Radio" weiß ganz genau, was es will: Der Hinterwäldler-Charme von Rockabilly ist für Ford Basis eine Verweigerungsgeste. Als Musikerin von der Westküste wirft sie auf Rockabilly aus den Südstaaten den Blick einer Außenseiterin.

Backfisch mit Haaren auf den Zähnen

In den Texten drückt sie etwa ihr Unbehagen über die aktuelle Radiolandschaft aus, kokettiert ein bisschen mit ihrem Backfisch-Image, singt aber mit reichlich Haaren auf den Zähnen. Ihre Musik würde auch in die US-Fernsehserie "Madmen" passen. Im Unterschied zu den am Reißbrett komponierten Brillbuilding-Pop der frühen Sechziger, wie er tatsächlich im Abspann von "Madmen" läuft, ist die Musik von Sallie Ford aber noch durch keine Instanz gegangen.

Künstlerische Freiheit ist heute für Musiker von kleinen Plattenfirmen gewährleistet, professionalisiert hat sich die Vermarktungskette von Pop, selbst im Independent-Bereich wird nichts dem Zufall überlassen.

Das kann man auch am "Trans Musicales" beobachten, wo jede französische Newcomer-Band scheinbar von Visagisten beraten und mit einem Up-to-date-Instrumentenpark ausgestattet ist. Man würde sich nicht wundern, gäbe es bald auch Consultants für Bandnamen. In Rennes bekämen sie eine Menge Arbeit.

Im Ubu, einem kleinen, nach Alfred Jarrys "Pere Ubu" benannten Saal des bretonischen Nationaltheaters, spielen den Nachmittag über Nachwuchskünstler. Darunter Juveniles, eine Band, die in der aktuellen Ausgabe des renommierten französischen Popmagazins Les Inrocktibles immerhin die Titelgeschichte hat: ein nichts sagender Bandname, aber drei gut aussehende Jünglinge mit Oberlippenbärten und Poppertollen. Alles ist stimmig - bis auf ihre Songs, die Discopunk- und New-Wave-Kälte kein Iota Neues abgewinnen und trantütig vor sich hin schaukeln.

Auf dem Expogelände hat der Pariser Jugendradiosender Le Mouve einen Sendecontainer errichtet und schleust auf einer kleinen Bühne im Viertelstundentakt den Nachwuchs durch, bevor er vor das Mikrofon gezerrt wird. Wieder fallen die entsetzlichen Bandnamen auf. Aber wenigstens haben sie musikalisch Hummeln im Arsch.

Sie heißen Kim Novak oder 50 Miles from Vancouver, sind jeweils zu viert, sehen gut aus, tragen Preppy-Klamotten und wollen ihren prominenten Vorbildern Phoenix Ehre machen. Dazu müssten sie allerdings zum Superphoenix werden.

Schmerzbefreiter, komischer und letztendlich exportfähiger sind französische Dancefloor-Künstler. Etwa die beiden jungen DJs Don Rimini und Baadman, die den Krawallsound von Ed Banger Records um einige Härtegrade weiterführen und mit ein paar selbst gebrannten CDs und smart geklauten Samples alter Italodiscohits die Bretonen in den Wahnsinn treiben.

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